Montag, 19. März 2012

Ist Adoption verboten im Islam?



Es muss vorausgeschickt werden, dass diese Frage nicht einfach so mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass das arabische Volk des  Siebten Jahrhunderts eine Adoption sicher anders anschaute als die moderne Gesellschaft des 21 Jahrhunderts.
Der Koran richtet sich an die Menschheit und ist eine zeitlose Rechtleitung. Um das koranische Prinzip besser zu verstehen, müssen wir uns zuerst von existierenden Konzepten, welche von Menschen aufgestellt wurden, trennen, um völlig unvoreingenommen an die Sache herangehen zu können.

Der Koran ist voll von Versen, die den Gläubigen dazu anregen sollen, den Armen und Schwachen zu helfen, sich um die Bedürftigen zu kümmern und legt grossen Wert auf die Fürsorge von Waisen.

090.011-16 

Doch das Hindernis konnte er nicht überwinden
Einen Unterjochten zu erlösen
Oder eine Speisung an einem Tag der Hungersnot
einer nahen Waise
Oder eines am Boden liegenden Bedürftigen

Die Waisen und das Achtgeben auf ihre Rechte inklusive der Verwaltung ihrer Güter sind im Koran oftmals wiederholt und eine strenge Strafe wird erwähnt, wenn man diese Gebote missachtet.

004:010

Diejenigen, die das Vermögen von Waisen unrechtmäßig an sich reißen, sind wie Menschen, die Feuer als Nahrung zu sich nehmen. Sie werden im Jenseits einem qualvollen Höllenfeuer ausgesetzt.

So gibt es also gar keinen Zweifel daran, dass der Koran den Gläubigen einen positiven Impuls geben möchte, sich um die Bedürftigen und die Waisen zu kümmern. Als erstes erstreckt sich dies auf die näheren Verwandten, dies ist klar ersichtlich vom Ausdruck "yatiminan dha maqraba(tin)" (eine Waise der näheren Verwandschaft 90.15). Erst nachdem man sich zufriedenstellend um jene gekümmert hat, soll man sich weiter bemühen.

So können wir schlussfolgern, dass von einer koranischen Perspektive, die Familie verantwortlich ist für die näheren und weiter entfernten Verwandten und es sollte jegliche Anstrengung unternommen werden, für verwitwetete oder verwaiste Verwandte aufzukommen und sie nicht der Fürsorge des Staates oder der Gesellschaft zu überlassen.
Diese Annäherung garantiert den Kindern ein soziales , religiöses und kulturelles Umfeld, welche sie gewöhnt sind und vermeidet, dass Kinder aus ihren „Wurzeln“ gerissen werden und vielleicht sogar die Familienmitglieder auseinandergerissen werden
 
Koranische Vorschriften
 
(1)    Vaterschaft  
Wenn ein Kind aufgenommen wird , muss jenes immer klar wissen, wo seine biologischen Wurzeln sind und es muss dem Kind den Namen (sofern bekannt) seines biologischen Vaters (und auch der Mutter) bekanntgemacht werden.

033:005
Nennt jeden nach seinem leiblichen Vater, denn das ist gerechter vor Gott. Wenn ihr jedoch den leiblichen Vater nicht kennt, dann sind es doch eure Glaubensbrüder und Schützlinge. Gott belangt euch nicht wegen unbeabsichtigter Fehler, sondern wegen vorsätzlicher Vergehen. Gott ist voller Vergebung und Erbarmen.

Der Name der Fürsorgefamilie muss nicht zu dessen eigenem Namen hinzugefügt werden. Dieser Punkt ist so wichtig, dass er in verschiedenen Versen des Korans erwähnt wird.
 
Diese Verse deuten auf die Wichtigkeit hin, dass zwischen der Abstammung des Vormundes und des Waisenkindes klar separiert werden muss, um beispielsweise eine spätere Heirat unter den Stiefgeschwistern zu ermöglichen oder eine Heirat mit den geschiedenen Frauen angenommener Soehne (und umgekehrt) . Siehe Sura 33.37. Die genetische Abstammung muss also klar deklariert werden, so weit als möglich.

033:004
Gott hat keinem Menschen zwei Herzen in seiner Brust gegeben. Er hat eure Ehefrauen, zu denen ihr sagt: "Ihr seid mir verwehrt wie der Rücken meiner Mutter", nicht zu euren Müttern gemacht. Auch eure angenommenen Söhne hat er nicht zu euren leiblichen Söhnen gemacht. Das sind leere Äußerungen, die ihr so dahinsagt. Nur Gott sagt die Wahrheit, und Er leitet zum rechten Weg.
 
033:037
Du sagtest dem Mann, dem Gott Gnade erwiesen hatte und dem auch du Gunst erwiesen hattest: "Behalte deine Frau und sei gottesfürchtig!" Du hältst etwas geheim, was Gott kundgibt. Du fürchtest die Menschen und ihr Gerede. Gott ist es, Den du eher fürchten sollst. Und als (dein angenommener Sohn) Zaid nichts mehr bei ihr zu erreichen hoffte und sich von ihr trennte, verheirateten Wir sie mit dir, damit die Gläubigen keine Bedenken haben, die geschiedenen Frauen ihrer angenommenen Söhne zu heiraten. Gottes Entscheidung ist es, die geschieht.
 
Auch wenn die meisten Übersetzungen den Ausdruck  'adiyaihim' als adoptierte Söhne übersetzen, meint das Wort 'da'iy' in seinem klassischen Gebrauch : Die Behauptung eines Abstammungsverhältnisses zu einem Sohn (Tochter) welches jedoch nicht dem genetischen Verhältnis entspricht. Das Wort „adoptiert“ wird meistens gebraucht als eine generelle Beschreibung, und nicht obligatorischerweise in seinem „legalen“ Gebrauch , um eine formale Adoption zu beschreiben.

 


(2)    Erbschaftsverhältnisse
 
Wenn eine Person von seinen biologischen Eltern geerbt hat, haben die Pflegeeltern nicht das Recht, diese Güter für sich zu beanspruchen.
Der Vormund muss sehr vorsichtig sein und das Geld der Waisen so lange mit Gerechtigkeit verwalten, bis jene alt genug sind, um selber die Verantwortung darüber übernehmen zu können.

004:006Prüft die Waisen, wenn sie heranwachsen, auf Handlungsfähigkeit hin! Wenn sie das Heiratsalter erreichen und ihr feststellt, daß sie richtig handeln können, so übergebt ihnen ihr in eurer Obhut befindliches Vermögen! Ihr dürft mit dem Vermögen der Waisen, das ihr verwaltet, nicht verschwenderisch umgehen und nicht danach trachten, es an euch zu reißen, bevor sie volljährig sind. Wer vermögend ist, darf vom Besitz der Waisen, den er verwaltet, nichts für seinen Unterhalt abziehen. Wer arm ist, darf für seinen Unterhalt etwas nehmen, jedoch in Maßen. Die Übergabe des Vermögens an die Waisen hat in der Gegenwart von Zeugen zu erfolgen. Gott genügt als Abrechner.

004.009

Jeder muß sich davor hüten, die Waisen ungerecht zu behandeln; daran sollen sich insbesondere diejenigen halten, die minderjährige Kinder haben, die vielleicht Waisen werden und ungerecht behandelt werden könnten; sie sollen Gott fürchten und im Reden und Handeln gerecht und korrekt sein.


(3)    Pubertät
 
Der Koran legt Wert auf bestimmte Kleidung , Moral, im Hinblick auf die Präsenz von spezifischen Individuen (24:31, 24:58, 24:60, 33:55). Eine solche Beziehung kann jedoch nur schwerlich eingehalten werden, wenn aufgenommene Kinder zusammen mit den eigenen Kindern im selben Haushalt aufwachsen. So muss der speziellen Situation Sorge getragen und praktische Ratschläge allen Familienmitgliedern erteilt werden.

Wir müssen uns immer bewusst sein, dass von einer Koranischen Perspektive , keinerlei biologisches Band zwischen Aufgenommenen und Pflegeeltern existiert. Theoretisch könnte ein Elternteil (oder beide) ihre angenommenen Söhne oder Töchter heiraten, wenn sie erwachsen geworden sind. Dies Szenario mag weit hergeholt und utopisch anmuten, aber ist genetisch und biologisch völlig legal.

In Vers 4:127 sieht man, dass dies tatsächlich eine Möglichkeit darstellen könnte, den Waisen ihre materiellen Rechte nicht zustehen zu müssen. Eine solche Praktik wird von Gott jedoch strengstens verurteilt. Jedoch, was eine faire, auf beiden Seiten akzeptierte Heirat anbelangt, wäre diese nicht verboten.

Die einzige Ausnahme besteht zwischen den Frauen, die ihre angenommenen Kinder selber stillen, und zwar die gesamte Stillperiode. (31:14). Diese durch die Mutter gestillten Kinder werden so zu „echten“ Geschwistern und Kinder der Pflegeeltern, die nicht mehr geheiratet werden können. (4:23).
 
 
ADOPTION wie sie heute verstanden wird
 
Die Rechtleitung des Korans beachtend, können wir nun die formale Adoption , wie sie heute praktiziert wird, besser beurteilen.
Jede Adoption, welche den Namen des Vormundes in Unterschied des Waisen rechtlich bestätigt, ist innerhalb des aufgezeigten Weges des Korans. Jedoch eine „Geschlossene Adoption“, welche die biologischen Abstammungsverhältnisse verschweigt, ist nicht innerhalb dieser Rechtleitung.

Abschliessende Gedanken

Der Koran hält klar dazu an, denjenigen , dessen Vormundschaft man übernommen hat, dieselben Rechte zuzugestehen wie den eigenen Kindern. Dies bezieht sich auf alle , ob sie Waisen sind oder nicht.

Jedoch impliziert eine solche Vormundschaft keine biologische Verwandtschaft und muss auch so behandelt werden. Man sollte immer vorsichtig sein, ein Arrangement einzugehen, welches den Prinzipien des Korans widerspricht. Dies ist der Fall mit Leihmutterschaft wie mit Adoption.

Jedoch zu argumentieren, dass Adoption per se einfach verboten sei, ist vom koranischen Standpunkt nicht korrekt. Jede Adoption muss im Lichte des Korans betrachtet werden.
093.006 
Fand Er dich nicht als Waise und beherbergte dich darauf
093.009 
Daher sollst du die Waise nicht unterdrücken




Quellen
www.quransmessage.com LANE. E.W, Edward Lanes Lexicon, Williams and Norgate 1863; Librairie du Liban Beirut-Lebanon 1968, Volume 3, Page 885

 

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