Donnerstag, 8. Dezember 2011

Zur Entstehung und Frühgeschichte des Islam


Nachfolgener Artikel ist eine Zusammenfassung eines Vortrages eines westliches Historikers, Karl-Heinz Ohlig, der wahrscheinlich den meisten bekannt sein wird. Er vertritt die These, dass es die historische Figur des Muhammad gar nicht gegeben habe und der Islam- in seinen Augen- eigentlich eine Verfälschung der christlichen Lehre darstelle.
Auch wenn ich nicht mit seinen Schlussfolgerungen, was Muhammad -Friede sei auf ihm- übereinstimme, bin ich der Meinung,dass der Vortrag ein guten Anhaltspunkt gibt, um zu sehen, wo es Lücken und Fehler in der islamischen Theologie hat. Ich habe den Vortrag ein bisschen gekürzt, um nur die wichtigen Fakten stehenzulassen. Die Spekulationen, was Muhammad betrifft oder die Entstehung des Korans, die ich nicht bestätigen kann, habe ich weggelassen. Diese Theorien können in den entsprechenden Publikationen selbst nachgelesen werden. Es liegt mir fern, etwas verschweigen oder verdecken zu wollen. Ich möchte nur nicht den Leser mit einer Theorie belasten, die noch in ihren Kinderschuhen steckt, und die von verschiedenen Seiten auch schon dementiert wurde. Solange es keine gesicherten Ergebnisse gibt, ist es intellektuell nicht vertretbar, eine Theorie als Tatsache darzustellen. Wir alle wissen um die Möglichkeiten der Geschichtsfälschung. Deshalb gestaltet es sich schwierig- auch mit archäologischen Funden- ein klares Bild der Frühgeschichte des Islams zu zeichnen. Die verlässlichste Quelle ist und bleibt der Koran. Da er jedoch, was die Regionen und Personen betrifft, ziemlich spärliche Auskunft gibt, kann jede Diskussion über allfällige Geschichtschreibung nur Spekulation bleiben und nicht als Wahrheit anerkennt werden.

Der Vortrag

Die Religions-wissenschaft hat die Aufgabe, alle Religionen dieser Erde in ihren Entstehungsbedingungen, Eigenarten, Veränderungen im Verlauf der weiteren Geschichte zu untersuchen und zu verstehen. Dabei werden alle untersuchten Religionen prinzipiell, für ihre Zeit und ihre Geltungsdauer, als legitime und hilfreiche Konzepte angesehen,
in denen Menschen bestimmter Zeiten und Kulturen ihre Ängste und Hoffnungen artikuliert sehen und Hilfen für eine Bewältigung ihres Lebens finden. Dies gilt auch für den Islam, der mehr als einer Milliarde Menschen – mit dynamisch wachsender Tendenz – die wichtigste Orientierung für ihr Leben in allen seinen Dimensionen bietet. Von besonderer Bedeutung für das Verstehen einer Religion ist eine Kenntnis ihrer Anfänge, soweit das möglich ist. Gerade hier aber gibt es Probleme: Diese Anfänge sind oft nichtmehr bekannt und wegen fehlender Quellen auch nicht rekonstruierbar, und so verbleiben sie in vielen
Bereichen im Dunkel der Geschichte. Dies gilt auch für Weltreligionen. So liegen z.B. zwischen dem Leben Buddhas (um 500 v.Chr.) und den ersten schriftlichen Aufzeichnungen im Pali-Kanon (rund 30 v.Chr.) rund 500 Jahre, die neuere Forschung problematisiert die Existenz des Gründers des Zoroastrismus, Zarathustra,
und wir alle kennen die Probleme, die für einen Zugang zum„historischen Jesus“ ergeben.
Vom Islam nahm man bisher an, dass seine Anfänge, wie in keiner anderen Religion, bekannt seien. Seit mehr als tausend Jahren werden die Begebenheiten um den Propheten Mohammed und die weitere Ausbreitung seiner Religion, des Islam, in allen Details und mit einer Fülle von Datierungen dargeboten. Diese selbst wurden aber bisher
niemals, oder allenfalls in Einzelheiten, hinterfragt oder auf ihre historische Gültigkeit hin untersucht. Dies ist eine Aufgabe, die noch zu leisten ist. Die Untersuchung der Frühzeit des Islam, wie auch anderer Religionen, gehört also zum „normalen“ religions-wissenchaftlichen Geschäft. Sie soll dazu verhelfen, diese Religion in ihrer Eigenart besser verstehen zu können.

Die überlieferte Darstellung

Der Islam sieht sich begründet durch den von Gott gesandten Propheten Mohammed , der gemäß der Überlieferung, auch der Meinung der meisten Islamwissenschaftler, von rund 570 bis 632 auf der Arabischen Halbinsel gelebt hat. Seine Biographie wird, trotz gelegentlich geäußerter Bedenken, im Rückgriff auf die muslimische Tradition wiedergegeben. Mohammed wurde in Mekka geboren und ist als Waise unter dem
Schutz seine Onkels Abu Talib aufgewachsen. Er betätigte sich als Kamel- oder Eselstreiber. Später heiratete er eine zwanzig Jahre ältere und reiche Kaufmannswitwe namens Khadidscha, der er bis zu ihrem Tod – er war dann schon rund 50 Jahre alt – in monogamer Weise treu blieb; sie gebar ihm drei Söhne, die bald starben, und vier Töchter,
die überlebten. Erst danach heiratete er eine Reihe weiterer Frauen. Die erste Ehe machte Mohammed finanziell unabhängig, eine wichtige Voraussetzung für seine religiöse Beschäftigung. Im Alter von etwa 40 Jahren, also um 6l0, hatte er, in einer Höhle amBerg Hira, eine Vision und hat seitdem immer Offenbarungen Allahs empfangen und diese verkündet. In Mekka konnte er nur eine kleine Anhängerschar gewinnen. Als sein
Onkel, der ihn bisher geschützt hatte, und auch seine Frau starben, wurde die Lage für ihn bedrohlich. Deswegen zog er im Jahr 622 nach Jathrib um; diese sogenannte Hidschra wurde später zum Beginn der islamischen Zeitrechnung, die nach Mondjahren zählt.
Er errichtete in dieser Stadt, die deswegen später „Medina“ („Stadt“ [des Propheten]) genannt wurde, die erste muslimische Gemeinde. 630 zog er friedlich in Mekka ein und konnte bis zu seinem Tod im Jahre 632 die Stämme der Halbinsel unter seiner
politischen und religiösen Führung vereinen. Nach seinemTod begann eine militärische und religiöse Erfolgsgeschichte. Die Expansionen der muslimischen Krieger überwanden die beiden Großmächte in diesem Raum, das Byzantinische und das Sassaniden-
(Perser-)Reich. In wenigen Jahrzehnten dehnten sie ihre Herrschaft im ganzen Vorderen Orient bis an die Grenzen Indiens aus, eroberten Ägypten und Nordafrika bis nach Spanien und stießen bis nach Südfrankreich vor. Gelenkt wurden diese Operationen durch Kalifen, die Mohammed in seiner politischen Führung nachfolgten: zunächst, bis zumJahr 661 n.Chr., die – später so genannten – vier „rechtgeleiteten Kalifen“, dann, bis 750, die Omaiyaden, die die Hauptstadt nach Damaskus verlegten, und, von der Mitte des 8. Jahrhunderts an, die Abbasiden, die von Bagdad aus regierten. Alle Kalifennamen, ihre Abstammungsverhältnisse und Biographien werden in allen Einzelheiten überliefert.

Theologie

Gott hat seine Offenbarung schon Abraham, dem„ersten Muslim” (als „erster Gläubiger”) gegeben, später Mose und anderen (Judentum) sowie Jesus (Christentum). Diese Offenbarungen aber wurden immer wieder verfälscht. Deswegen wurde Mohammed
beauftragt, sie ein für allemal und unverfälscht weiterzugeben. Jedes Wort im Koran stammt demzufolge von Gott selbst. Mohammed kommt im Islam eine zentrale Rolle zu. Er ist der Verkünder oder Übermittler der Offenbarungen Allahs und auch in seinem Leben
und Handeln Vorbild für die Gläubigen. Aber er ist nicht, wie im Judentum das Volk Israels und im Christentum Jesus, selbst oder „in Person“ die Offenbarung Gottes; letzteres ist, in seiner Textgestalt, der Koran. Deswegen werden Interpretationen des Korans oder gar
Fragen, die ihn problematisieren, als Sakrileg empfunden. Schon im 9. Jahrhundert wird von ihm eine Präexistenz bei Gott gelehrt; der Koran gilt als die Wortgestalt dieses „ungeschaffenen“ ewigen Koran in Gott.

Dennoch scheint der Umgang mit dem Koran im Islam der Sache nach oft recht beliebig zu sein. Die spätere Sunna, schriftlich fixiert in sechs umfangreichen Sammlungen aus dem 9. und frühen 10. Jahrhundert, überlagert oft den Koran; Praktiken und auch Lehren, die nicht auf den Koran zurückgeführt werden können wie z.B. die Verschleierung
der Frauen oder das Kopftuch, die Beschneidung, werden als religiös gefordert hingestellt. Vor allem die Theorie der Abrogation, der zu Folge fhere Koranverse durch spätere in ihrem Inhalt aufgehoben, „abrogiert“ werden können , wirft Fragen auf zur behaupteten Geltung des ganzen Koran bzw. nach der Verbalinspiration.

Zur westlichen Islamwissenschaft

Die westliche Koranforschung folgt bis heute weithin der muslimischen Tradition. Hans Zirker fasst diesen Konsens zusammen: „Im Vergleich mit der Bibel ... hat der Koran eine äußerst knappe und homogene Entstehungszeit. ... Etwa 20 Jahre nach demTod Mohammeds lag die Sammlung vor, von der alle heutigen Ausgaben im wesentlichen
Kopien sind. Mit wenigen Ausnahmen hegen auch nichtmuslimische Wissenschaftler keinen Zweifel daran, dass der Koran die Offenbarungsworte weitgehend authentisch in der von Mohammed vermittelten Gestalt wiedergibt. Die „historisch-kritische“ Arbeit am Koran beschränkt sich, seit Theodor Nöldeke, darauf, die Suren – mittlerweile auch einzelne Verse oder Texteinheiten – verschiedenen Abschnitten des Lebens Mohammeds
zuzuordnen: eine mekkanische, in drei (eine frühe, eine mittlere und eine späte) Phasen untergliedert, und eine medinische Verkündigung; dieser werden auch die letzten Jahre in Mekka bis zu seinem Tod zugerechnet.

Historische Probleme

Dieser westliche Konsens beruht allerdings, wie auch die muslimische Tradition, auf Grundlagen, die von keinem Historiker akzeptiert würden. Für die Frühgeschichte des Islam und zu Mohammed gibt es folgende literarische Quellen:
  • 1. Der Koran
  • 2. Die Sunna (konkret: Sammlungen von Hadithen )Die Hadithe werden in aller Regel eingeleitet durch isna;-d, eine„Überliefererkette“, die eine Reihe von Namen angeben,
    die die folgende Erzählung seit Mohammed weitergegeben haben sollen , sie wurden im 9. Jh. zu sechs Sammlungen (Sunan) zusammengestellt:
  • 1 al-Bukhari (gest. 870): allein diese Sammlung umfasst 97 Bücher mit rund 7.300 einzelnen Hadithen
  • 2 Muslim (gest. 875)
  • 3 Abu Dawud (gest. 888)
  • 4 Tirmidhi (gest. 892)
  • 5 Nasa’i (gest. 915)
  • 6 Ibn Madscha (gest. 886)
Die klassische islamische Theologie kennt keine historisch-kritische Beschäftigung mit diesen Überlieferungen, ordnet aber die Hadithe dennoch, nach unterschiedlichen Kriterien, ein als:
  1. sahih (authentische)
  2. hasan (schöne, aber nicht sehr authentische)
  3. daif (schwache).

Biographische Werke
(die beiden wichtigsten sind im Fettdruck hervorgehoben):

  • die Sira („Biographie“ Mohammeds) von Ibn-Hisham (gest. 833), die überarbeitete Version einer Sira von Ibn-Ishaq (gest. 768)
  • das Kitab al-majazi (Geschichte der Kriegszüge) von al-Waqidi (gest. 822)
  • die Tabaqat („Klassen“ oder „Generationen“) von Ibn-Sa’d (gest.845)
  • das Ta’rik („Annalen“) von at–Tabari (gest. 922).
Der Koran ist als Quelle für die oben geschilderten Informationen zu Mohammed unbrauchbar, weil er nichts vom Leben Mohammeds erzählt. Nur viermal kommt der Begriff muhammad vor, und nur an einer Stelle ist damit mit Gewissheit ein oder der arabische(r) Prophet gemeint. Einmal wird ein Talgrund von Mekka, ohne nähere Bedeutung, erwähnt, viermal Medina, wobei unklar bleibt, ob nur dieWortbedeutung
Stadt“ oder der neue Name des fheren Jathrib gemeint ist. Auch sonst fehlen Anspielungen auf die Arabische Halbinsel, auf irgendwelche Ereignisse im Leben Mohammeds oder weitere biographische Notizen. Zwar werden gelegentlich ungenaue Anspielungen als solche interpretiert, könnten sich aber ebenso, was meist viel plausibler ist, auf andere Propheten, vor allem Mose, beziehen. Die „Informationen“ zu dem arabischen Propheten Mohammed sind erst in den sechs Sammlungen der Sunna und vor allem in den vier „biographischen Werken“ aus dem fhen 9. und 10. Jahrhundert greifbar; auf die jüngste von ihnen, die „Annalen“ des at-Tabari, geht auch die überlieferte Geschichte der arabischen Expansionen, Reiche und Kalifen zurück. Vor allem aber geben sie Auffassungen über Mohammed und die Anfänge des Islam wieder, die erst zwei- bis dreihundert Jahre nach der behaupteten Lebenszeit Mohammeds abgefasst sind; sie sind Zeugnisse für das Denken der Autoren im 9. und 10. Jahrhundert, nicht aber Quellen für die lange zurück liegende Zeit.
Für die ersten beiden Jahrhunderte nach dem Tod Mohammeds fehlen zeitgenössische islamische literarische Texte. Meist werden diese Sachverhalte nicht erwähnt. Eine Ausnahme ist Josef van Ess, der in seiner sechsbändigen Untersuchung zum islamischen 2. und 3. Jahrhundert ausführt, dass es für das erste Jahrhundert nur einige Münzen und Inschriften gebe. Für die ersten beiden Jahrhunderte der islamischen Zeitrechnung
gibt es nur drei Arten von zeitgenössischen Quellen:
  • Die Literatur,die unter arabischer Herrschaft lebende Christen hinterlassen haben
  • Münzprägungen der arabischen Herrscher
  • und viele Inschriften, von denen aber nur einige wenige genauere Auskunft geben können.

Zeitgenössische Quellen

Zeitgenössische Quellen, so karg sie sein mögen, können über die tatsächlichen Abläufe und Überzeugungen informieren.Man muss zunächst einmal diese dokumentieren und analysieren, und kann erst in einem zweiten Schritt der Frage nachgehen, wie von
daher die spätere Tradition zu bewerten ist. Kritiker werfen unserer Forschergruppe vor, die spätere Tradition außer Acht zu lassen; man solle weiterhin von ihr ausgehen. Aber sie gehen leider nicht auf das Problem ein, wie die doch sehr große Zeitspanne historisch
überbrückt werden soll und aus welchen historisch überprüfbaren Gründen die späteren Traditionen geschichtliche Nachrichten bieten sollen. Die Untersuchung von Realien ist dem Rekurs auf Postulate vorzuziehen, weil es nur auf diese Weise die Möglichkeit einer geschichtlichen Annäherung geben kann. Dabei bleiben sicher Fragen offen, eben
weil das noch zur Verfügung stehende Material, z.B. Münzen, naturgemäß nur knappe Informationen vermitteln kann. Dennoch aber lässt sich aus ihm ein ungefährer Gang der Abläufe dokumentieren.

Die christliche Literatur unter islamischer Herrschaft

Die Christen unter arabischer Herrschaft – Syrer, Griechen, Ägypter – haben in diesen beiden Jahrhunderten nicht nur zahlreiche Klöster und Kirchen gegründet und bis nach China Mission getrieben, sondern auch eine reichhaltige Literatur hinterlassen: Chroniken, Briefe, Predigten, Synodenbeschlüsse, Apokalypsen und vor allem theologische Werke. Diese aber befassen sich mit den gewohnten Geschäften: mit ihren innerchristlichen Auseinandersetzungen. Hätten ihre arabischen Herrscher eine neue Religion, den Islam, propagiert, hätten sie sich vor allem damit auseinandersetzen müssen, nicht mit den Feinheiten der unterschiedlichen christologischen Schulen und Richtungen.
Nur sehr selten wird in diesen Schriften überhaupt einmal die neue arabische
Herrschaft erwähnt; in der sehr reichhaltigen Literatur wird nur in 29 Schriften, meist recht nebenbei und kursorisch, in wenigen Zeilen, von ihr gesprochen. Von islamischen Invasionen wird niemals berichtet die Araber sind einfach da und haben die Macht.

Von den Arabern wird nicht viel erzählt, offensichtlich wusste man nichts Genaues. Meist
werden sie deshalb, wie schon in frühen „vorislamischen“ Zeiten, bezeichnet
als Sarazenen oder als Ismaeliten oder Hagarener. Sie werden auch gelegentlich mit einem „Arabien“ in Verbindung gebracht, was sich aber auf das Reich Arabiya in Mesopotamien, mit der Hauptstadt Hatra am oberen Tigris, oder auf das von den Römern 106 n. Chr. eroberte Nabatäergebiet, von Damaskus bis zum Roten Meer– provincia Arabia genannt bezieht, nicht auf die Arabische Halbinsel. In den Zeiten des „arabischen“ Herrschers Mu’awiya (661- 680) wird die arabische Herrschaft und ihr Verhältnis zum Christentum, z.B. von einem Patriarchen der syrischen Christen, Iso’yaw III. (gest.659), gelobt: „Der Glaube ist in Frieden und blüht“. Erst seit dem Amtsantritt des ’Abd al-Maliks (685-705) erscheint das Regime der Araber als eine Last und eine Strafe Gottes. Mohammed wird in diesen Schriften in der Regel nicht erwähnt. Von einer neuen Religion der Araber berichten die christlichen Quellen nicht. Selbst die späteren syrischen Apokalypsen, die an der Herrschaft der Araber kein gutes Haar lassen und ihr Reich für einen Vorläufer des kommenden Antichrist halten, kritisieren an ihnen alles Mögliche – ihre Unterdrückung, Gewaltherrschaft, Hurerei usw. –, nicht aber ihre Religion. Wenn, ganz selten, auf die religiösen Auffassungen der Ismaeliten Bezug genommen wird, werden sie als Vertreter einer spezifischen Gottesauffassung geschildert: Gott ist einer ohne Beigesellung (gegen eine Trinitätslehre) oder Jesus ist zwar Messias, Knecht Gottes,
Gesandter und Prophet, aber nicht Gottes Sohn. Diese Theologie der Araber wird von einem syrischen Abt namens Anastasius vom Sinai (610-701?) gelobt, weil sie seinen eigenen Anschauungen entsprach, von dem der griechischen Theologie verpflichteten Johannes von Damaskus (gest. um 750) aber getadelt. Johannes kannte die Ismaeliten, wie er sie nennt, sehr gut: schon sein Vater war Finanzverwalter unter Mu’awiya, und er selbst stand auch einige Jahre in ihrem Dienst, bis er sich in ein Kloster bei Jerusalem zurück zog, wo er eine intensive literarische Tätigkeit entfaltete, die ihm noch im 19. Jahrhundert den Titel eines (römisch-)katholischen Kirchenlehrers einbrachte. In seinem ganzen umfangreichen Werk kommen die Araber nicht vor, außer in einer Schrift „Gegen die Häresien“, in dem er die Auffassungen der Ismaeliten wegen ihrer Christologie und ihrer Ablehnung einer Trinität unter die (christlichen) Häresien einordnete.
Er wirft diesen Unlogik vor. „Ihr sagt doch (selbst), dass Christus Logos Gottes und Geist ist, wieso tadelt ihr uns dann als Beigeseller?“Dies entspricht auch den zentralen theologischen Aussagen des Koran. Der Begriff muhammad kommt, wie gesagt, in ihm nur vier mal vor Jesus wird 24 mal erwähnt, Maria 34 mal, Mose 136 mal, Aaron 20 mal. In seiner Theologie kreist der Koran um die richtige Gottesauffassung. Immer wieder wird betont, dass Allah der eine Gott ist, ohne Beigesellung, d.h. ohne Binität oder Trinität.
Von Jesus wird im Koran gesagt, dass er nicht Gottessohn, sondern Messias, Knecht Gottes, Gesandter und Prophet ist. Diese Theologie ist aber nicht neu, sondern wurde schon fh im syrischen Christentum vertreten. Man we, dass in der westsyrischen Theologie bis zum Konzil von Nizäa im Jahre 325 und oft auch noch später der so genannte „Monarchianismus“ gelehrt wurde, ein unitarischer Monotheismus. Die biblischen Aussagen zum Wort Gottes und zum Geist Gottes werden als Hinweise auf die Wirkungen des einen und selbigen Gottes nach außen,als Kräfte Gottes verstanden. Damit verbunden wurde Jesus als Mensch gesehen, der sich mehr als andere durch die Gnade Gottes ethisch bewährt hatte. Der antiochenische Bischof Paul von Samosata amEuphrat (gest. nach 272) lehnt eine Göttlichkeit Jesu ab; er sagte, „zwei Götter würden verkündet, wenn der Sohn Gottes als Gott gepredigt werde“. Paul lehrte, dass Jesus Christus uns gleich ist – also Mensch –, „aber besser in jeder Beziehung“ wegen der „Gnade, die auf ihm ruhte“. In der griechischen Kirche dagegen setzte sich ein Verständnis Jesu als Sohn Gottes und als inkarniertes Wort Gottes durch; dieses wurde auf dem Konzil von Nizäa im Jahre 325 unter dem Vorsitz des – noch ungetauften – Kaisers Konstantin und auf seine Initiative hin zur amtlichen erhoben. Die syrische Kirche führte erst im Jahre 410 nach Verfolgungszeiten in der Hauptstadt des Sassanidenreichs Seleukia-Ktesiphon (ungefähr dort, wo heute Bagdad liegt) eine Reichssynode durch, in der sie, obwohl sie sich als autonome Kirche verstand, die Beschlüsse von Nizäa anerkannte. Es dauerte aber in vielen Regionen bis ins 6. Jahrhundert hinein, bis
die Lehre vom gleichwesentlichen Gottessohn und damit auch eine Binitätslehre in der ostsyrischen Kirche verbreitet wurde: Noch der syrische Theologe Aphrahat (gest. nach 345) wusste nichts von Nizäa, er bezeichnet Jesus immer wieder als Prophet oder den großen Propheten,
Der Koran allerdings hält an dem älteren Verständnis Gottes und Jesu fest, wie es in vornizenischer Zeit vertreten wurde. Heftig bekämpft er die falsche Gottesauffassung und Christologie der anderen Schriftbesitzer, denen er vorwirft, die Schrift zu verfälschen.

Perser
Die persischen Herrscher, die Parther wie die Sassaniden, haben die ererbte
mesopotamische Praxis der Deportationen, die wir schon aus dem Alten Testament von Assyrern und Babyloniern kennen, fortgeführt. Zwar blieb prinzipiell der Euphrat die Grenze zum Römischen Reich, aber es kam immer wieder zu kurzfristigen Eroberungszügen bis ans Mittelmeer und zu darauf folgenden Deportationen der städtischen Einwohner. Die Deportierten, darunter auch Christen, wurden weit im
Osten angesiedelt, einmal sogar die ganze Einwohnerschaft der Stadt Antiochien. So wollten die persischen Herrscher Gebiete, die bisher nur von nomadischen Gruppen oder einfachen Bauern besiedelt waren, in blühende Regionen verwandeln. Im Jahr 241 n. Chr. wurde auch die Stadt Hatra am Tigris von denSassaniden erobert, damals Hauptstadt des Reiches Arabiya, das vom Tigris nach Westen bis zumEuphrat reichte. Auch ihre Einwohner sowie weitere Bevölkerungsgruppen aus Arabiya wurden verschleppt und
weit im Osten angesiedelt; anzunehmen ist, dass sie auch in Marv (heute Südturkmenistan) wohnen mussten. Unter diesen Deportierten waren auch aramäische, vielleicht auch „arabische“ Christen, die dann in ihrer neuen Heimat, in der Isolation, ihr frühes Christentum tradiert und weiterentwickelt haben.

Das Zeugnis der Münzen und Inschriften

Für eine Rekonstruktion der damaligen Geschichte gibt es als einzige zeitgenössische Quellen die zahlreichen Münzfunde und auch einige Inschriften. Sie dokumentieren, wenn auch in knapper Form, die historischen Abläufe. Die meisten Münzen geben die Münzstätte an und sind datiert. Die Datierung erfolgt zunächst nach den ortsüblichen (byzantinischen, persischen oder regionalen) Zählungen, bald aber in einer Zählung
nach den Arabern“. Das erste Jahr „nach den Arabern“ war das Jahr 622 ; gezählt wird nach einem noch unbekannten Kalender, der wohl in etwa Sonnenjahre bietet.
Wieso war 622 von solch einschneidender Bedeutung? Von einer Hidschra in diesem Jahr berichten erst Zeugnisse aus dem 9.Jahrhundert und lassen mit ihr die islamische Zeitrechnung beginnen. Was aber kann schon im Jahre 663 n.Chr. dazu veranlasst haben, das Jahr 622 als Jahr der Araber zu bezeichnen? Aus den zeitgeschichtlichen
Kontexten ergibt sich durchaus ein Bezugspunkt für dieses Jahr: In den Jahren vorher hatte der Sassanidenherrscher Chosrau II. das Persische Reich weit nach Westen ausdehnen können. Er hatte die östlichen Provinzen des Römischen Reichs erobert: Syrien westlich des Euphrat, Palästina, große Teile Kleinasiens, die arabische Halbinsel und Ägypten (Mohammed wäre also persischer Untertan gewesen). Damals
schien das byzantinische Reich endgültig aus seinen Besitzungen im Vorderen Orient verdrängt zu sein. Aber es kam anders: Ein neuer Herrscher, Heraklius bestieg den Thron. Im Jahre 622 konnte der junge byzantinische Kaiser einen unerwarteten Sieg gegen die Perser erringen, Beginn einer Reihe weiterer militärischer Erfolge, auch im Kernland der Perser. Aber er strebte offensichtlich keine völlige Niederlage der Sassaniden an, so dass ihre Dynastie zwar entscheidend geschwächt war, aber sich noch kurze Zeit halten konnte.
Diesen Sieg hatte Heraklius errungen mit der Unterstützung durch Hilfstruppen der sowohl in Westsyrien wie im Perserreich schon seit langem ansässigen Araber,
die er auf seine Seite ziehen konnte. Trotz seines Sieges aber verzichtete er darauf, die zurück gewonnenen ehemals römischen Gebiete wieder seiner unmittelbaren Herrschaft zu unterstellen; er beschränkte die Grenzen des Römischen Reiches auf Kleinasien und die westlich und südwestlich davon gelegenen Gebiete. Er überließ die Verwaltung
im Osten, jetzt außerhalb des Reiches, den dortigen arabischen Herrschern, die sich als seine Verbündeten Confoederati (arabisch: Quraisch) verstanden und dem Kaiser Tribut zahlen mussten. 622 begann also, zunächst in den ehemals östlichen Gebieten des Römischen Reichs, die Selbstherrschaft der Araber und wurde somit zum Beginn
der arabischen Zeitrechnung.
Eine zweite Zäsur stellt das Jahr 641 dar. Zwei Ereignisse sind wichtig: das durch Heraklius geschwächte Perserreich brach endgültig zusammen, der letzte Sassanidenherrscher wurde ermordet. Nun konnten auch die östlich des Euphrat siedelnden „arabischen“ Stämme die Herrschaft übernehmen. In Byzanz war im gleichen Jahr Kaiser Heraklius gestorben; seine Witwe und sein noch unmündiger Sohn
wurden von einemUsurpator gestürzt und von dem neuen Kaiser verstümmelt und verbannt. Jetzt fühlten sich auch die Araber der ehemals byzantinischen Gebiete, die sich bisher dem Kaiser Heraklius und seiner Familie gegenüber in einemTreueverhältnis sahen, nicht mehr dem Kaiser verpflichtet und übernahmen gänzlich die Herrschaft.
So erklärt es sich, dass es seit dem Jahr 641 die ersten „arabischen“ Münzprägungen gibt, die Ausdruck dieser neuen Souveränität sind. Diese Münzen sind ihrer Ikonographie nach christliche Prägungen: sie zeigen Kreuze, Herrscher mit Langkreuz oder andere eindeutig christliche Symbole. Offensichtlich gab es keinen Grund, eine neue Symbolik aufzuprägen. Der erste arabische Herrscher, der zunächst im Westen, dann auch im ehemaligen Perserreich regierte, war Mu’awiya (661-680). ImJahr 674 greift Mu’wiya Byzanz an und belagert es, erleidet aber eine Niederlage. Darauf hin verliert er im Osten seines Reichs den Rückhalt für seine Herrschaft; nach dem Bericht der späteren Traditionsliteratur
ergreift dort ein Mann namens Zubair die Herrschaft (möglicherweise muss dieser Name aber anders, als Zunbil, gelesen werden und bezeichnet dann einen im Ostiran mächtigen Stamm). In dieser Situation konnte bald ein neuer Herrscher, ’Abd al-Malik (685-705) aus Marv in Ostiran (heute Süd-Turkmenistan), zwischen den Parteien nach Westen vorstoßen, schließlich Palästina und vor allem Jerusalem, sein religiöses und politisches
Ziel, erreichen und die Herrschaft im ganzen Reich übernehmen. Die erste bisher bekannte Münze mit der Prägung MHMT wurde im Jahr 38 Hidschra „nach den Arabern“ (660 n.Chr.) in Ostiran, weit östlich von Mesopotamien, geprägt. Fortan finden sich zahlreiche Prägungen mit diesem Motto, in geographischer und zeitlicher Aufeinanderfolge
von Osten nach Westen.
Wer ist muhammad? Was ist von Münzen zu halten, die z.B. den Spruch bieten: „Allah ist ein einziger, und muhammad ist sein Gesandter“, und die auf der anderen Seite Kreuze aufgeprägt hatten? Die Frage löst sich, wenn man den Text einfach übersetzt: „Gott ist ein einziger, und gepriesen ist (sei) sein Gesandter“, also nach dem Zeugnis der Ikonographie Jesus; denn auf Arabisch bedeutet muhammad „der Gepriesene/Gelobte“ oder, je nach Kontext, weil die semitischen Sprachen kein Gerundivum kennen, „der zu Preisende/zu Lobende“ Dieses Verständnis von muhammad wird gestützt durch die Inschrift, die ’Abd al-Malik innen in dem von ihm im Jahre 691 erbauten Felsendom, angeblich der älteste islamische Sakralbau, anbringen ließ. Dieser Text beginnt mit einem Bekenntnis zu dem einen Gott ohne Teilhaber und kreist im Folgenden um das richtige Bekenntnis; es heißt dort: „Zu loben ist (muhammad[un]) der Knecht Gottes (’abd-allah) und sein Gesandter
... Denn der Messias Jesus, Sohn der Maria, ist der Gesandte Gottes und sein Wort.“ Die Texte zu Gott und Jesus im Felsendom finden sich, wenn auch über verschiedene
Stellen verstreut, wörtlich in koranischen Aussagen wieder. Das muhammad ’abdallah der Inschrift im Felsendom erscheint wie eine wörtliche arabische Übersetzung des Redens vom „gelobten Knecht Jesus Christus“ im schon erwähnten Martyrium des Polykarp aus dem zweiten Jahrhundert, in jedem Fall aber als eine späte Dokumentation vornizenischer syrischer Christologie. Ein weiterer Gesichtspunkt mag die Vorstellungen ’Abd al-maliks noch deutlicher hervortreten lassen: Der Felsendom ist innen nicht planiert; er überdacht die Felsspitze auf dem Sionsberg, der schon in den Jahrhunderten zuvor mit Adam, Abraham und mit Jesus in Verbindung gebracht wurde und wo auch Jesus, gemäß der syrischen Danielapokalypse aus dem 4. oder 5. Jahrhundert, sein ewiges Reich nach seiner Wiederkunft errichten wird. In syrischer Theologie, so z.B. bei Aphrahat (gest. nach 345), repräsentiert der Sionsberg Christus, den er den „Felsen“ nennt. Er schreibt: „Nun höre von dem Glauben, der gestellt ist auf den Felsen, und von dem Bauwerk, das aus dem Felsen emporragt ...
Fortan werden auf den Münzen ’Abd al-Maliks die Kreuzsymbole durch ein Steinidol ersetzt, Zeichen der arabischen Reichskirche, die sich von den Byzantinern und den syrischen Christen unterscheidet.
Muhammad war also ursprünglich, wie auch die Prädikate ’abdallah (Knecht Gottes), Prophet, Gesandter, Messias, ein christologischer Titel. Eine Reminiszenz um dieses Wissen findet sich auch in der islamischen Literatur des 9. Jahrhunderts (bei Ibn Sa’d), in der muhammad als einer von mehreren Hoheitstiteln Mohammeds genannt wird.

Die zweite Hälfte des 8. J.h ( Beginn derAbbasidenzeit) bis zum Beginn des 9.J.h

Auch über diese Zeit gibt es nur wenige zeitgenössische Nachrichten. Die arabische Herrschaft war fest etabliert, wenn auch viele Regionen –zeitweise – nicht oder nur locker mit der „Zentrale“ verbunden waren. Auffallend an den Münzprägungen und Inschriften dieser Zeit ist der Aufdruck symbolischer Bezeichnungen, die apokalyptisch gefärbten
Programmen entnommen zu sein scheinen; parallel entstehen christlich motivierte mahdi-Vorstellungen von dem Retter, der am Ende der Tage kommen soll. In der Literatur des 9. Jahrhunderts werden messianische Bezeichnungen, die nicht alle auch auf den Münzen bezeugt sind, aufgezählt und als Namen regierender Kalifen gedeutet, z.B. al-Saffah (der eschatologische Spender reicher Gaben), al-Mansur (der Siegreiche), al-Mahdi, Mûsa al-Hadi (Mose, der Heiland), Mardi (geliebter Sohn), Amin (so sei es), Harun (Aaron) auf Münzen im Westen des Reichs, ar-Raschid (der Gerechte) im Osten (später, in
der Literatur, zusammengelegt zu einem Harun ar-Raschid).
Zu den im Verlauf des 8. Jahrhunderts im iranischen Teil der jetzt arabischen
Herrschaft verbreiteten – protoschiitischen – Vorstellungen von einer leidenden und sterbenden Heilsgestalt, wohl zurückgehend auf den syrisch-persisch-christlichen Kult ritterlicher Martyrer verweise ich auf Volker Popp. In ihnen kommt die heilsbedeutsame Funktion des Leidens vor, festgemacht an den Gestalten Ali und Hussein, die ermordet wurden, die der Koran nicht kennt; der Begriff Ali (der Erhabene) taucht erst im 9. Jahrhundert auf. Mitte des 8. Jahrhunderts scheint auch Medina erstmals in den Blick geraten zu sein (Bau eines Heiligtums), gegen Ende dieses Jahrhunderts auch Mekka; aus dem Jahre 203 Hidschra stammt eine Münze aus Mekka, die nächsten folgen 249 und 253 Hidschra. Um diese Zeit ist wohl dann endgültig der Islam als eigenständige Religion ausgebildet. Jetzt erst entstehen die umfangreichen Sammlungen und Aufzeichnungen von Mohammed-Material und die Konstruktion einer „historischen“ Linie von Mohammed bis in die Zeit der Kalifen des 9. Jahrhunderts. Auch die jetzt entstehenden
Rechtsschulen scheinen an persische Traditionen angelehnt.

Zusammenfassung:

Die religions- und korangeschichtlichen Einsichten, die sich bei der Berücksichtigung der zeitgeschichtlichen Quellen ergeben und nur in Kooperation unterschiedlicher Fachdisziplinen erarbeitet werden können, bringen Korrekturen vieler tradierter Positionen mit sich, die in der Islamwissenschaft zu diskutieren sind. Wie die islamische
Theologie selbst mit Ergebnissen dieser Art umgehen wird, lässt sich nicht vorhersagen. Die Wahrnehmung der historischen Bedingtheit der Anfangsprozesse könnte aber insgesamt die Chance eröffnen, Dogmatismenaufzulockern und den notwendigenSchritt in die Moderne, vergleichbar der Wirkung der Aufklärung auf das Christentum, zu ermöglichen.

(Quelle:Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig Zur Entstehung und Frühgeschichte des Islam
Hervorhebungen sind von mir gemacht worden und nicht Teil des ursprünglichen Vortrages. Sie drücken meine persönlichen Ansichten aus.)

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