Ignaz Goldziher,
Islam und Parsismus (Islamisme et Parsisme)1
Vortrag bei der allgemeinen Sitzung des ersten
Internationalen Kongresses für Religionsgeschichte am 6. September
(1900) an der Sorbonne in Paris
Ins Deutsche übertragen von Werner Müller2
I
Meine Damen und Herren!
Schon seit langem begnügt man sich mit dieser
bequemen Behauptung: Der Islam ist auf einmal entstanden und sofort in
vollendeter Form in Erscheinung (wörtlich: ins „helle Tageslicht“)
getreten.
Je weiter wir in der kritischen Prüfung der frühen
Dokumente des Islams vorankommen, wie sie in den letzten Jahren
unternommen wurde, desto mehr können wir uns davon überzeugen, dass die
muslimische Tradition (Hadith), die nach dem Koran unsere zeitlich
älteste Informationsquelle darstellt, nur in geringem Maße uns in die
frühe Kindheit des Islam zurückführt3.
Sie bietet uns eher ein Bild gegensätzlicher Tendenzen, die noch nicht
die feste Form angenommen haben, welche die spätere muslimische
Orthodoxie in ihrer bis in die Gegenwart feststellbaren Systemstarrheit
und Ritenverfestigung aufweist.
Diese Überzeugung breitet sich mehr und mehr aus.
Indem wir die reichen Materialien dieser Tradition, in der die Muslime
Dokumente sehen, die ihr heiliges Buch bestätigen, auswerten, gehen wir
weit über die kritisch-rationale Methode hinaus, die die muslimische
Schultradition seit dem zweiten Jahrhundert Hedschra angewandt hat.
Wir sind strenger und umsichtiger hinsichtlich dieser
Literatur geworden. Niemand, der seriös Islam-Studien betreibt, würde
es wagen, die Mohammed und seinen Gefährten zugeschriebenen Aussprüche
als Quelle zu benutzen, um ein Bild vom frühen Zustand und den
ursprünglichen Lehren des Islam zu entwerfen. Die moderne historische
Kritik lässt uns gegen eine solche vorsintflutliche Betrachtungsweise
auf der Hut sein. Kämpfe politischer und religiöser Parteien stellen für
uns Schlüssel zum besseren Verständnis dieser Dokumente dar und lassen
die eigentlichen Behauptungen und Aussageabsichten erkennen, die dieses
Wort Mohammeds oder jene Nachricht eines „Gefährten“ des Propheten
stützen oder widerlegen soll.
Die kritischen Untersuchungen der muslimischen
Tradition helfen uns, die fundamentalen Probleme der Religionsgeschichte
im Bereich des Islam zu erfassen und ihrer Lösung näher zu kommen.
Aber sie stellen nur einen Strang von Beobachtungen dar, die für unsere Arbeiten von hoher wissenschaftlicher Bedeutung sind.
Ein anderer Strang von Elementen muss unsere
kritische Untersuchung ergänzen. Während der erste sich vor allem auf
die Entwicklung der inneren Kräfte bezieht, müssen wir gleichzeitig
unsere Aufmerksamkeit auf fremde Einflüsse richten, die von
entscheidender Bedeutung für die Bildung und Entwicklung des Islam
waren. Und dabei denke ich nicht nur an den Volksislam, wie er sich in
den verschiedenen Provinzen des islamischen Glaubens bildete und dabei
überall vorislamische Elemente einschloss, sondern auch an seine
universelle, kanonische Formation seit der frühesten Zeit.
Jedes elementare Handbuch der Geschichte des
Mittelalters lehrt uns, dass der Islam von Anfang an jüdischen und
christlichen Einflüssen ausgesetzt war und dass Mohammed selbst sich auf
jüdische und christliche Gegebenheiten stützte. Diese Einflüsse machten
sich auch in der Folgezeit negativ oder positiv bemerkbar, selbst in
den ersten Generationen nach dem Tod des Propheten. Man hat im Islam die
Intervention jüdischer und christlicher Elemente immer anerkannt, ohne
sie ausdrücklich einzugestehen4;
aber anderseits verwarf man, während man laut diesen Standpunkt
vertrat, die Lehren und Gebräuche des Judentums und Christentums; man
entfernte sie und reagierte gegen sie. „Chalifuhum“ – „unterscheidet euch von ihnen“, das ist die übliche Formel5.
Aber auch diese Reaktion muss ihrerseits wiederum als Symptom einer
geistigen Beziehung und intimen Beeinflussung angesehen werden.
Bis heute hat man einem der wichtigsten Elemente der religiösen Entwicklung des Islam, dem persischen
Element, wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es hat in zwei Formen, der
Anleihe und der Reaktion, entscheidenden Einfluss auf die Bildung des
Islam in seiner spezifischen Eigenart genommen. Der Einfluss des
Parsismus auf den Islam ist eine der erstrangigen Fragen, der man sich
in unserem Forschungsbereich stellen muss. Sie verlangt, um angemessen
behandelt zu werden, gleichermaßen profunde Kenntnisse der persischen
wie der muslimischen Religion. In diesem Feld ist Herr Blochet bis jetzt
der einzige, der diese Frage in einigen Artikeln in der Revue de l’Histoire des Religions6
angegangen und für die Lösung des Problems wichtige Materialien
geliefert hat; ich werde mir erlauben, ganz besonders auf die sowohl in
philologischer wie religionswissenschaftlicher Hinsicht exzellenten
Studien hinzuweisen, in der er den persischen Ursprung der muslimischen
Vorstellung von al Buraq, des geflügelten Pferdes, auf dem der Prophet
seine Himmelfahrt vollzogen haben soll, nachgewiesen hat.7
Obwohl ich selbst kein Irankenner von Beruf bin, will
ich in diesem Vortrag einen Eindruck von der Reichweite des Problems
vermitteln sowie einige grundlegende Punkte dazu vortragen.
Eines der spannendsten Kapitel der Kulturgeschichte
ist die Untersuchung der unterschiedlichen Einflüsse, die die
sassanidische Kultur auf die verschiedenen Teile der Menschheit, auch
solche, die ihr geographisch fern sind, ausgeübt hat. Selbst in der
Sprache und Kunst der Nation, der ich angehöre, lassen sich
bemerkenswerte Spuren dieses Einflusses feststellen. Um nur die
religiöse Terminologie zu nehmen: Seit der Zeit der Wanderungen der
alten Ungarn, vor ihrem Eindringen in das Land der Karpaten, bis heute
bezeichnen wir Gott mit einem persischen Lehnwort isten, (persisch izd-ân); den Teufel, das böse Prinzip, mit ördög (persisch druga); selbst im profanen Bereich hat sich ein Rest der daêva erhalten (dévaj,
schlimmer Kerl). Unsere Archäologen und Kunsthistoriker entdecken in
alten Kunstdenkmälern Spuren und Reste persischer Elemente.
Ähnliche Einflüsse auf die arabische Kultur sind
sozusagen mit Händen zu greifen. Der unmittelbare andauernde Kontakt mit
der sassanidischen Kultur gab den Arabern, beschränkt man sich
lediglich auf ihre Poesie, den ersten Impuls, der ein tieferes
intellektuelles Leben erst ermöglichte. Ich bleibe bei meiner früher
formulierten, von Herrn Brockelmann in seiner „Geschichte der arabischen
Literatur“ aufgenommenen These, dass die Geschichtsschreibung der
Araber ihre Wurzeln in der Literatur der Königsannalen der Perser hat,
dass es ohne den ersten Anstoß aus Persien keine arabische
Geschichtsschreibung gegeben hätte, dass die arabischen Schriftsteller
dadurch zur Suche nach und zur Bewahrung der geschichtlichen
Erinnerungen ihrer Nation geführt wurden8.
Die vorislamischen Araber hatten kein historisches Bewusstsein. Ihre
ältesten Erinnerungen reichten kaum in die Zeit vor dem 6. Jh. nach Chr.
zurück, abgesehen von den Traditionen bezüglich der Wanderung der
Stämme aus Südarabien nach Norden. Die Ereignisse der jüngsten
Vergangenheit waren ihnen verhüllt und verschwammen in mythischem Nebel.
Durch den Kontakt mit der persischen Kultur – ein Kontakt, der in die älteste Zeit des Islam zurückreicht9 – bekam die Entwicklung des geistigen Lebens der Araber ihre Richtung und ihr Ziel.
Der Einfluss des persischen Elements auf die
religiöse Entwicklung war sehr tiefgreifend, sobald sich der Islam auf
dem Gebiet des früheren Parsismus etabliert und den Verehrern
Zarathustras mit Hilfe des Schwerts den Glauben an den Propheten aus
Mekka und Medina gebracht hatte. Die Besitznahme des Iraks durch die
Muslime ist eines der entscheidendsten Fakten für die religiöse
Entwicklung des Islam.
Persische Theologen trugen in die neu angenommene
Religion ihre traditionellen Sichtweisen ein. Die Eroberer reicherten
ihren eigenen dürftigen religiösen Hintergrund mit Elementen eines
tiefen religiösen Lebens an, wie es die besiegten Perser besaßen.
Deshalb kann die Bedeutung, die der im Irak entstandenen und mit den
Schulen von Basra und Kufa verbundenen geistigen Bewegung für die
Entwicklung des Islam zukommt, gar nicht hoch genug angesetzt werden. Es
ist nicht verwunderlich, dass diese lokale Entwicklung in sich manches
persische Element mitführte10.
Diese Einflüsse erreichten ihre volle Entfaltung in
der großen Revolution, die der islamische Staat im Jahr 128 seiner
Zeitrechnung, beim Übergang von den Omaiyaden zu den Abbasiden,
durchmachte.
Dies war nicht nur ein politischer Umsturz einer
Dynastie, sondern vielmehr eine religiöse Revolution von sehr großer
Tragweite. An die Stelle der weltlichen Regierung der Omaiyaden, die in
ihrer Residenz in Damaskus, am Rande der Wüste, ihre arabischen
Traditionen bewahrt hatten, trat das theokratische Regime der Abbasiden,
die den Staat auf zugleich politische wie religiöse Prinzipien
gründeten. Sie errichteten ihre Residenz in Anbar und Bagdad, dem
Zentrum des Sassanidenreiches, das der Islam gestürzt hatte. Sie
übernahmen dessen Traditionen. Sie führen nicht mehr den Titel eines
arabischen Scheichs, sondern den eines persischen Königs; ihre Autorität
beruht auf der Legitimität als „Kinder des Propheten“, genau
so wie das Königreich der Sassaniden auf Legitimität gegründet war. Wie
diese wollen die Abbasiden die wahre Religion wiederherstellen, die
unter ihren Vorgängern verfallen war. Ihr Königreich ist ein
religiös-geistlicher Staat; sie selbst sind nicht mehr nur weltliche,
sondern religiöse Führer. Sie betrachten sich sozusagen als bâghi, „Göttliche“, wie die Sassaniden11, die sich als solche auf ihren Münzen darstellen ließen.
In ihrer Umgebung war man sich dieser Verbindung der
neuen Institution der Kalifen mit der Konzeption des persischen
Königtums klar bewusst. Während der Omaiyaden-Kalif Abd al-Malik seinem
Hofdichter Vorwürfe macht, weil er ihn mit Attributen eines persischen
Königs verherrlicht12 – und dabei handelt es sich nur um ein Diadem (tâdj)13
-, preist der abbasidische Prinz und Dichter den Kalifen in einem
historischen Lehrgedicht folgendermaßen: „Er gleicht dem Perser
Ardeschir, da er ein vernichtetes Königreich wieder herstellte“14.
Diese Wiederherstellung war von Anfang an mit der Vorstellung von der
Kalifenwürde verbunden. Nicht nur ihr Hof, ihre Verwaltungsorganisation,
das System der staatlichen Würdenträger und die Umgangsformen waren dem
Modell des persischen Königtums nachgebildet, auch die interne Bedeutung des Kalifats ist nach der persischen Konzeption gebildet: Sie sind Wächter der Heilsökonomie (économie divine). Der
Staat selbst wird eine religiöse Institution, eine universelle
Glaubensgemeinde, an deren Spitze sich der legitime Nachfahre des
Propheten, der „Califat Allah“, befindet. Die Regierung verschafft der
Religion die höchste Beachtung. Eine Regierung, die dieses Namens würdig
ist, handelt im Einklang mit der Religion; die Regierung ist mit der
Religion verschwägert, dank ihrer vollkommenen Einheit mit ihr; deshalb
kann man sagen, dass Regierung und Religion identisch sind, dass die
Religion die Regierung des Volkes ist15.
Dies sind durch und durch islamische Maxime. Das Buch aber, dem sie
entnommen sind, ist nicht das eines muslimischen Gesetzgebers, sondern
ein Buch in Pehlevi, aus der Endzeit des produktiven Parsismus, der Dinkard.
Sie sehen, welch tiefen Einfluss die sassanidische
Konzeption des Staates auf das abbasidische Königtum ausgeübt und wie
sie die theokratische Idee zur Geltung gebracht hat. Diese ist, wie Sie
sehen, in persischer Atmosphäre entstanden ist. Ebenso atmen ihre
Anwendung und ihre praktischen Folgen persischen Geist. Anstatt der
konfessionellen Indifferenz, die unter den Omaiyaden herrscht, wird nun
der Konfessionalismus Leitprinzip der Regierung und macht sich im Reich breit.
Der Historiker muss also den Konfessionalismus, der
im Islam offiziell seit dem 2.Jh. herrscht, als eine Frucht des
persischen Einflusses betrachten. Darin folgt das Kalifat nur der
persischen Tradition des Königtums bâghi. Während die Omaiyaden die Theologen, die ihnen widersprachen16,
mit souveräner Verachtung betrachteten, sorgten sich die ersten
Abbasiden von Anfang an hauptsächlich um den rechten Glauben. Sie
errichten ihr Reich, indem sie sich um die Bewahrung der Sunna
kümmern, indem sie Lehrsätze über transzendentale Fragen formulieren,
wobei Fanatiker wie Ma’mûn alles daran setzen, dass sie befolgt werden,
und schließlich indem sie Häretiker und Andersdenkende verfolgen. Von
ihren diesbezüglichen politischen Aktionen nenne ich nur die Verfolgung
der Anti-Mu’taziliten und der Zindîks17,
eine persische Bezeichnung für Häretiker, die bald nach Errichtung des
abbasidischen Kalifats Opfer eine Art muslimischer Inquisition werden.18
„Gott hat die Abbasiden mit zwei Schwertern gegürtet:
das eine ist dazu bestimmt, zu verteidigen und die Grenzen des Staates
weiter hinauszurücken; das andere soll den Glauben in seiner
dogmatischen Form stärken und den Unglauben und die Häresie bestrafen“.19
Die Abbasiden erben also von ihren sassanidischen
Vorgängern die Religionsverfolgung ebenso wie das System des
Konfessionalismus und der Intoleranz. Wie diese üben sie ihre Macht auch
über die religiösen Auffassungen ihrer Untertanen aus.20 Auf diese Weise wird die persische Unterscheidung bih-dîn und bed-dîn,
guter Gläubige und schlechter Gläubige, ein Lebensprinzip des Islam: Es
gehört nicht zur ursprünglichen arabischen Bewegung, die im
konfessionellen Indifferentismus der Omaiyaden fortlebte.
II
Der persische Einfluss zeigt sich in der
Transformation des öffentlichen Bewusstseins des Islam in seiner Gänze,
hat aber auch Spuren in einigen Besonderheiten der Gesetzgebung
hinterlassen.
Ohne so weit zu gehen wie der Altmeister der persischen Philologie, Frédéric Spiegel21,
und mit ihm zu behaupten, dass sogar schon die Wurzel der islamischen
Tradition, die grundlegende Form ihrer religiösen Vorschriften, in
Parsismus getaucht ist, können wir dennoch nicht umhin, den Einfluss des
persischen Elements auf etliche inhaltliche Besonderheiten der Hadithe
festzustellen.
Dabei ist nicht allein an die große Bedeutung zu
denken, die der Irak, das klassische Land der alten persischen Kultur,
mit seinen hochstehenden theologischen Anstrengungen bei der Entwicklung
des Glaubens und der Gesetzgebung im Islam gehabt hat; man muss auch an
den Anteil denken, den die Bevölkerung dieses Lands bei der Entwicklung
der muslimischen Geisteshaltung hatte, wo doch ihre Väter noch treue
Anhänger der Religion Zarathustras waren und sie in ihr neues Bekenntnis
die ganze Frömmigkeit des Parsismus einbrachten.
Ich denke, dass Sie eine Aufzählung all der Analogien
zwischen den speziellen religiös-rituellen Vorschriften in den
traditionellen islamischen Schriften und denen der persischen Religion
nicht besonders interessieren wird. Das Kapitel, das rituelle Reinheit
und Unreinheit betrifft, ist – soweit es sich nicht um Überreste alter
heidnischer Tabus handelt – unter dem Einfluss der persischen
Religion entstanden; die islamische Tradition zeigt noch Spuren davon,
obwohl man zu der Zeit, als sich diese Ritualgesetzgebung entwickelte,
natürlich das Bedürfnis verspürte, die persische Sichtweise bezüglich
Reinheit und Unreinheit nicht sklavisch zu übernehmen.
Die persische Vorstellung von der Verunreinigung
durch einen Leichnam, die sich auch im Judentum findet, ist Ihnen
bekannt. Ich brauche als muslimische Reaktion nur folgende Passage des
Hadith zu zitieren:
„Eine Kunde des Ansariers (Ansârien) Abu Wahwah
erzählt: Wir haben einen Toten gesehen. Dann wollten wir uns selbst
durch Waschung reinigen. Da trat Abu Wahwah vor und sprach: Bei Gott,
wir sind weder als Lebende noch als Tote unrein“.22
An dieser einfachen Erzählung lässt sich die Spur
eines Einflusses beobachten, der noch keine endgültige Form angenommen
hat. Sie ist ein Zeichen für Widerstand gegen die Infiltration
persischer Gebräuche.
Heute ist nicht Gelegenheit, eine Darstellung im
eigentlichen Sinne dieser Elemente zu geben; Sie werden mir aber einen
ganz und gar aphoristischen Überblick über einige formelle Gegebenheiten
und Gesichtspunkte des muslimischen religiösen Denkens erlauben, die
auf einen tiefgehenden parsischen Einfluss in der Epoche nach Mohammed
schließen lassen.
1. Im Islam gilt schon das Rezitieren heiliger Texte,
besonders des Koran, seit sehr früher Zeit als verdienstliche religiöse
Handlung. Es handelt sich dabei nicht um Gebete oder religiöse Formeln,
sondern um die Lesung, persönlich oder durch andere, des geoffenbarten
Buches oder größerer Teile desselben. Wer die muslimische Literatur
kennt, kann immer wieder am Ende der Kommentare zu einer Sure
Bemerkungen über das Verdienst und die Belohnung für die Lesung eines
einzelnen Kapitels oder des gesamten Korans finde.23
Meiner Meinung nach ist diese Vorstellung der Verdienstlichkeit der
Lektüre des Offenbarungstextes ein Widerhall der persischen Vorstellung
vom Verdienst bei der Rezitation des Vendidad. „Ein kurzes Yacna ebenso
wie das längste Vendidad-Sade können zum Wohl einzelner Personen gelesen
werden, sowohl verstorbener, die dadurch Vergebung ihrer Sünden
erlangen, als auch lebender, stellvertretend und mit demselben Ziel;
denn, da der Mensch auf Erden nicht ohne Sünde leben kann, ist von Zeit
zu Zeit die Lesung des Vendidad nötig, um sich von Sünden zu befreien“.24
Dem Muslim soll die Rezitation seines heiligen Buchs
dasselbe Ergebnis für sein Seelenheil verschaffen. Wie bei den Persern
liest man bei den Muslimen das heilige Buch während mehrerer Tage nach
dem Tod eines Familienmitglieds; noch heute können wir diesen Brauch (kirdje, umgangssprachlich grâje)
in muslimischen Familien bei Kondolenzbesuchen beobachten. Um den
persischen Bezug dieser Gepflogenheit aufzuzeigen, begnüge ich mich mit
dem Hinweis auf Herrn Söderbloms Studie über die Fravashis, was die
Rezitation des Vendidad als persischen Brauch beim Totenfest betrifft.25
Da wir bei einem Totenbrauch sind, erlauben Sie mir,
nebenbei noch eine Beobachtung anzubringen. Ich habe früher einmal im
Einzelnen dargelegt, wie streng die muslimische Ethik bestimmte
Äußerungen der Trauer verurteilt, und will nicht die diesbezüglichen
Aussagen des Propheten wiederholen. Ich habe damals den Grund dafür in
der Unterwerfung gesucht, die der Islam von seinen Gläubigen fordert26;
ich komme nun nicht umhin, auf die frappierende Ähnlichkeit
hinzuweisen, die der Parsismus in dieser Hinsicht bietet: „Die
Bedrängnis der Seele soll nicht durch Trauer vergrößert werden: die
Fravashis der Gläubigen brauchen weder Klagelieder noch Tränen bei den
Zeremonien und Segnungen für sie. Wer Klagelieder für einen Toten
angestimmt hat, wird in der Hölle damit bestraft, bei abgeschnittenem
Kopf schreien zu müssen.“27
2. Die eschatologische Lehre von der Waage (mîzân),
auf der die guten und schlechten Taten des Menschen nach seinem Tod
gewogen werden, ist aus dem Parsismus übernommen und impliziert eine
arithmetische Bewertung der ethischen und religiösen Handlungen (William
Jackson28 hat den arischen Ursprung dieser Vorstellung nachgewiesen). Wie in den heiligen Büchern der Parsen29 wird der Wert der guten und schlechten Taten im Islam30 nach Gewichtseinheiten berechnet. „Man wird ein Kintâr guter Werke dem anrechnen, der tausend Koranverse in einer Nacht liest“31.
Der Prophet sagt: „Wer das Gebet bei der Bahre eines Toten (salât
al-djinâza) spricht, verdient ein Kîrât; wer aber der Zeremonie bis zur
Beerdigung beiwohnt, verdient zwei Kîrât, von denen eines ebenso schwer
ist wie der Berg Ohod“32. „Die kleine Reinigung (wudû, wie z.B. die vor dem Gebet) ist ein mudd (modius) wert, die Vollreinigung (ghusl) ein sâ“.33
„Das gemeinsame Gebet ist fünfundzwanzig mal mehr
wert als das individuelle Gebet.“ Deshalb pflegte Al-Muzanî, ein
hervorragender Schüler des Imam Al-Schâfi’i, einer der wichtigsten
Autoritäten des 11. Jahrhunderts, fünfundzwanzig Einzelgebete zu
verrichten, wenn er zufällig einmal das gemeinsame Gebet versäumte.34
Abdallah b. Abbas lehrte seine Kinder folgendes: „Macht die Wallfahrt
zu Fuß. Denn wer zu Fuß zu den Heiligtümern geht, gewinnt mit jedem
Schritt 700 mal die Tugend, die man sich im Heiligtum verdient und die
jeweils 100 000 anderen entspricht.“35
Die mit solchen Maßzahlen verbundenen praktischen Überlegungen bleiben
nicht aus. Wenn ein frommer Mann von Mekka nach Jerusalem auswandert,
weiß er, dass seine Gebete dreiviertel ihres Wertes verlieren. In Mekka
entspricht ein Gebet hunderttausend normalen Gebeten, im Jerusalem nur
fünfundzwanzigtausend.36
Dem können Sie weitere arithmetische Betrachtungen
hinzufügen. Zum Beispiel kann man bestimmte Quantitäten zuvor gewonnener
Verdienste wieder verlieren. „Wer einen Hund in seinem Haus hat, es sei
denn, es ist ein Schäferhund, mindert jeden Tag seine guten Werke um
zwei Kirât“37.
Unschwer erkennt man hier die Berechnung der guten
und schlechten Taten nach Maß und Gewicht, wie man sie überall in den
religiösen Büchern der Parsen antrifft. „Jeder Schritt, den man einen
Leichnam begleitend macht, ist ein gutes Werk im Wert von 300 stîr;
jeder stîr ist vier dirhem wert, so dass 300 stîr 1200 dirhem
gleichkommen“38.
Wenn man unter rituell unzulässigen Bedingungen das heilige Feuer durch
seinen Blick verunreinigt, begeht man eine Sünde von zwölf dirhem. Man
drückt exakt das Gesamtgewicht einer Sünde aus, die durch jeden
intimeren Kontakt begangen wird; das kann bis zu fünfzehn tanâvar
steigen.39
„Einen Schritt ohne Gürtel machen ist eine Sünde von einem farmân, vier
eine Sünde von einem tanâvar“. Ein tanâvar = 1200 dirhem.40
3. Auch noch in einer anderen Hinsicht haben die
muslimischen Hadithe vom parsischen System die formellen Eigenschaften
numerischer Beziehungen übernommen. Schon ein oberflächlicher Blick auf
die heiligen Schriften der Parsen zeigt die Bedeutung, die
Zahlenanalogien aufgrund ihrer numerischen Gegebenheiten haben, wo
dieselben Zahlen in jeder numerischen Ordnung wiederkehren (Einer,
Zehner, Hunderter, Tausender). Das sind bisweilen sehr hohe Zahlen. Das
Buch Mainôgi-Khirad (XLIX, 15) zählt 99.999 Schutzgeister für Gerechte,
ebenso viele Dämonen und böse Feinde, die gegen die gute himmlische Welt
kämpfen, während das (Buch) Sad-der (XIII, 4) sich mit 9.999 begnügt.
Man findet die gleichen numerischen Relationen bei den rituellen
Handlungen wieder. Als Opfer für die Toten werden „33 Bohnen und 33
Eier“ angeordnet; ich verweise bei dieser Gelegenheit auf das, was James
Darmesteter über die Bedeutung dieser Zahl 33 bei den Iranern
vorgetragen hat.41
Vergleichen Sie damit die muslimische Form entsprechender
Gegebenheiten. Ich zitiere mit Absicht die ältesten Auskünfte in den
Hadithen. 33 Engel tragen den Lobpreis der Menschen zum Himmel. Was das
Verdienst frommer Litaneien betrifft, spricht man von 33 tasbih, 33
tahmid, 33 takbîr usw.42 , eine Zahl die sich noch heute in den Litaneien etlicher mystischer Gemeinschaften findet.43 Der Glaube hat 333 Wege.44 Wenn der Gläubige beim Gebet seine Kniebeuge macht, loben 333 Knochen und 333 Nerven Gott.45
Die dem Propheten zugeschriebenen Aussagen bei der Bildung solcher Zahlen gehen offensichtlich in die Hunderte.
Es würde zu weit führen, wollten wir für alle diese
formalen Elemente eine Darstellung der materialen Übernahmen persischer
Elemente durch das islamische Recht und die islamischen Bräuche geben.
Andererseits möchte ich dieses Kapitel nicht inhaltsleer beenden und
möchte wenigstens, um das Ausmaß der noch ausstehenden historischen
Untersuchung des Islam in diesem Bereich anzudeuten, zwei extreme
Beispiele wählen: was es in religiöser Hinsicht an Größtem und an
Unbedeutendstem gibt.
Unter dem Größten verstehe ich die muslimische
Institution des Gebets, die Verehrung, die der Knecht Gottes erweist,
indem er sich vor dem rabb el-âlamin, dem Herrn der Welten, in den Staub
wirft. Die Festsetzung der Zahl der täglichen Wiederholungen dieses
Ritus, der unter dem Einfluss der jüdisch-christlichen Tradition
entstanden ist, muss sicher auf einen persischen Ursprung zurückgeführt
werden. Das von Mohammed selbst eingerichtete Gebet war ursprünglich an
zwei Tageszeiten gebunden; es kam später, noch im Koran, eine dritte
hinzu, die Mohamed selbst die mittlere (al-wusta) nannte: das Gebet am Morgen, am Abend und der (Tages)Mitte entsprechen dem schacharith, minchâh und ‚arbîth des Judentums.
Aber dies genügt nicht mehr, als die parsischen
religiösen Institutionen mehr und mehr in den Gründerkreis des
muslimischen Ritus eindringen. Man wollte hinsichtlich der Quantität
religiöser Praxis nicht hinter den Anhängern Zarathustras zurückstehen.
Man übernahm, wie übrigens schon James Darmesteter gesehen hat46, die fünf gâhs (Gebetszeiten) der Perser, und die ursprünglich drei Gebetszeiten wurden auf fünf erhöht.47
Sie sehen, wie eine alte fundamentale Institution des Islam in ihren
wesentlichen Bestimmungen persischem Einfluss unterlag und dabei ihre
endgültige, heute noch gültige Form annahm.
Vom wichtigsten zum unwichtigsten religiösen Akt ist
nur ein Schritt. Für diesen Punkt bitte ich Sie um Nachsicht, denn es
wird nun nicht mehr um die fromme Gemeinschaft gehen, die sich täglich
fünf Mal vor Allah in den Staub wirft, sondern um ein ganz kleines und
unbedeutendes Objekt des täglichen Lebens, den Zahnstocher. Man glaubt
es kaum, welch religiöser Segen in der muslimischen Tradition diesem
völlig gewöhnlichen Gegenstand zugesprochen wird. Der Muslim siedelt ihn
in religiöser Hinsicht so hoch an, dass er fromme Pilger beauftragt,
ihm welche als heilbringendes Souvenir von den heiligen Stätten des
Islam mitzubringen.48
Man hat die Qual der Wahl angesichts der unzähligen Sprüche, die den
großen Wert des miswâk (das ist sein arabischer Name) im alten Islam
belegen; ich werde mich auf einige weinige beschränken.
Der Gebrauch des miswâk gilt als Vorbereitung auf das
Gebet wie der kanonische Adân. Er gehört zu den „Sunan al-mursalîn“,
d.h. zu den Praktiken der Propheten sogar noch vor Mohammed.49 Die damit verbundenen Privilegien werden durch den Propheten in bezeichnenden Sprüchen verkündet:
„Ein Gebet“, so sagt Mohammed, „dem der Gebrauch des
Zahnstochers vorausgeht, ist mehr wert als 75 gewöhnliche Gebete“. „Wenn
es keine zu schwere Last für meine Gläubigen wäre, würde ich ihnen
vorschreiben, vor jedem Gebet den siwâk zu vollziehen“50.
Die alte Tradition setzt diesen Gebrauch so hoch an,
dass sie den Propheten sagen lässt: „Gott hat mir den siwâk mit solchem
Nachdruck befohlen, dass ich fast befürchtete, er schreibe es mir als
ein geoffenbartes Gesetz vor“51.
Humoristisch lässt man den Propheten sagen, Gabriel habe ihm so oft den
siwâk aufgetragen, dass er befürchten musste, durch ständiges Reiben
seine Zähne zu verlieren. Eine der zehn Wirkungen des siwâk ist, den
Satan wütend zu machen, was Allah genehm ist, der von Satan gehasst wird
(mardât lil-rabb, muschita lil-scheytan).52
Der Gebrauch des Zahnstochers bietet auch den
Vorteil, dem Sterbenden in seinen letzten Augenblicken das
Glaubensbekenntnis zu erleichtern und seinen Todeskampf abzukürzen.53
So lässt sich der Prophet in seiner letzten Stunde einen miswâk
reichen, und einer der Umstehenden erzählt, niemals in seinem Leben habe
er so ernsthaft davon Gebrauch gemacht wie in seinen letzten
Augenblicken.54
Die poetische Literatur der Muslime bemächtigte sich des sakralen
Gegenstandes; es gibt regelrecht eine Poesie des miswâk. Nach dem
Zeugnis des schiitischen Gelehrten Abu-l-Kâsim Murtadâ ‚Alam al-hudâ
verdankt sich das schönste Gedicht zu diesem Thema der Feder des
Dichters Abu Hajja al-Numejri (Epoche des Übergangs von den Omaiyaden
auf die Abbasiden).55
Meine Damen und Herren, ich werde mich mit einem
einfachen Hinweis begnügen. Der miswâk und die hohe Bedeutung, die man
ihm beimisst und die man schwerlich aus den religiösen Gegebenheiten des
Islam erklären kann, führen uns auf persisches Gebiet. Sie ergibt sich
aus der rituellen Disposition, mit der dieser Gegenstand in der
religiösen Praxis der Parsen belegt war56
und die dann eine freie Weiterentwicklung in den muslimischen Sprüchen
erfahren hat, von denen einige uns als Sprüche des Propheten überliefert
sind.57
Wir müssen aber auch die Rückseite der Medaille in
den Beziehungen zwischen der muslimischen Tradition und den persischen
Einflüssen betrachten.
Von Zeit zu Zeit gibt es Anzeichen von Widerstand und
Reaktion des Islam gegen die persischen Vorstellungen. Es gibt keinen
deutlicheren Beweis als die Veränderung, die in den Gefühlen der Muslime
gegenüber dem Hund, unserem treuesten Haustier, eingetreten ist. Wie
sie wissen, gilt er seit frühester Zeit als verachtetes Tier. „Die Engel
treten niemals in ein Haus ein, in dem es einen Hund oder ein Bild
gibt“. Man sagt, der Prophet habe angeordnet, alle Hunde Medinas zu
töten, besonders jene einer bestimmten dunklen Farbe.58
Die muslimischen Theologen haben Schwierigkeiten, diese Maßnahme zu
begründen. Man berichtet, der Kalif Abu Djar ‚far al-Mansur (diesen
Hinweis verdanken wir Ibn Kutejba) habe bezüglich dieses Themas
Erkundigungen bei einem bedeutenden Gelehrten seiner Zeit, Amr b. Obejd,
eingezogen. Dieser konnte ihm nur folgende Erklärung geben: „Das ist,
was die Tradition sagt, ich kenne den Grund dafür nicht“. Der Kalif soll
die Idee gehabt haben: „weil der Hund die Gäste anbellt und die Bettler
erschreckt“59.
Ob der Prophet diese Maßnahme tatsächlich ergriffen
hat, lässt sich mit Recht bezweifeln. Zur Zeit des Propheten war der
Hund noch nicht verachtet; die Gläubigen hatten ihm gegenüber viel
zärtlichere Gefühle, als es die Verachtung voraussetzen lässt, die ihm
von späteren Generationen entgegengebracht wurde. Wir wissen z.B., dass
zur Zeit des Propheten in den Moscheen Hunde umherliefen und dass man
darin keineswegs eine Profanierung der heiligen Stätte sah.60
Selbst später noch begegnen uns Sprüche, die noch erhalten sind und aus
denen freundliche Einstellungen des Muslims gegenüber diesem Tier
sprechen, mit dem in Kontakt zu kommen nach den Gesetzesnormen eine der
größten Unreinheiten darstellt. Nach einem Hadith sieht der Hund Dinge,
die für uns unsichtbar sind, d.h. Dämonen. Wenn Sie Ihren Hund nachts
bellen hören, bitten Sie Gott um Hilfe gegen den Satan.61
Das ist ein durch und durch persischer Gedanke: „So oft der Hund bellt,
fliehen die Dämonen und bösen Feinde“. Diese Eigenschaft hat der Hund
mit dem Hahn62
gemeinsam; von ihm lässt die muslimische Tradition in gleicher Weise
Mohammed sagen, er sei der Feind Satans und sein Krähen zeige an, dass
er einen Engel gesehen habe.63
In einem Hasan Basrî (gestorben 110/728) zugeschriebenen Spruch64, der in einigen Varianten in die persische Poesie65
eingegangen ist, wird der praktizierende Sufi (fakir) mit dem Hund
verglichen, und dies in einer Weise, die stark an die Beschreibungen des
Hundes im Avesta66 erinnert: „Der Hund hat zehn lobenswerte Eigenschaften, die alle beim Fakir vorhanden sein müssen:
1. Er hat immer Hunger – das ist der Brauch der
Gläubigen. – 2. Er hat keine ständige Behausung – das ist der Brauch
derer, die auf Gott vertrauen (mutawakkilin).67
– 3. Des Nachts schläft er sehr wenig – das ist der Brauch derer, die
in die Liebe zu Gott eingetaucht sind. – 4. Wenn er stirbt, hinterlässt
er kein Erbe – das ist der Brauch der Asketen. – 5. Er verlässt nicht
seinen Herrn, selbst wenn dieser ihn davonjagt – das ist der Brauch der
Anhänger (murîdîn). 6. Er begnügt sich mit den geringsten irdischen
Gütern – das ist der Brauch der Enthaltsamen. – 7. Wenn man ihn von
einem Ort verjagt, läuft er weg und sucht sich einen anderen – das ist
der Brauch der Demütigen. – 8. Wenn man ihn schlägt und verjagt und ihn
dann wieder ruft, gehorcht er – das ist der Brauch der Bescheidenen. –
9. Wenn er Nahrung sieht, bleibt er in Entfernung stehen – das ist der
Brauch derer, die sich der Armut geweiht haben. – 10. Wenn er weggeht,
nimmt er keine Wegzehrung mit – das ist der Brauch derer, die sich von
der Welt zurückgezogen haben.“
Woher kommt es, dass dieses Tier, das zu Mohammeds
Zeit selbst in den Moscheen geduldet war und das man später noch wegen
seiner Eigenschaft mit heiligen Männern vergleichen konnte, dann
plötzlich einen Schrecken einjagen konnte, der sich schwerlich mit der
im Islam vorgeschriebenen Milde gegenüber Haustieren vereinbaren lässt.
Die Antwort ist schnell bei der Hand, wenn man an die Hochschätzung
denkt, die diesem Tier bei den Parsen entgegengebracht wurde, unter
denen sich die Muslime etablierten. Für sie ist es das Tier, das die
Dämonen vertreibt68;
man soll sogar den Leichnam eines Parsen, der sich auf seinem letzten
Weg zum dachmeh (dem Aufbahrungsort) befindet, seinem Blick (seg-dîdeh)
aussetzen; in alter Zeit gründete man fromme Stiftungen zum Unterhalt
dieses Tiers, um sich seiner Hilfe für den Augenblick zu versichern, wo
die Seele des Verstorbenen über die Brücke Cinvat gehen würde, wo über
ewige Glückseligkeit oder Verdammnis entschieden würde.
In Opposition zu dieser Hochschätzung für dieses Tier
führte die muslimische Tradition die Ausrottung der Hunde auf den
Propheten zurück und machte aus religiösen Motiven ein ehemals
hochgeschätztes Haustier zu einem verachteten Wesen.69
III
Der Einfluss – durch Übernahme oder Zurückweisung
fremder Elemente – geht bis in die älteste Zeit der theologischen
Entwicklung des Islam zurück und ist ebenso alt wie die Bemühung der
Gesetzgeber um Normen für das religiöse Leben.
Wir beziehen uns dabei nicht auf die Epoche, wo der
siegreiche Islam durch Eroberung in Beziehung mit der persischen
Bevölkerung trat und infolgedessen in permanentem Kontakt mit ihr stand.
Wir können vielleicht (und ich betone bewusst dieses Vielleicht)
viel weiter in der Geschichte des Islam zurückgehen, um die Auswirkung
persischer Elemente auf die Bildung der Vorstellungen Mohammeds zu
erkennen. Dies führt mich zu einer Hypothese, auf die ich Sie und alle
hinweisen möchte, die sich für die historische Untersuchung der
Prinzipien interessieren, die nicht nur die spätere Entwicklung, sondern
sogar die Entstehung von Mohammeds Werk beeinflusst haben.
Bis jetzt hat man vor allem das Judentum und das
Christentum als die Quellen der Lehre des Korans betrachtet; der
berühmte Aufsatz von Abraham Geiger (1833) hat Untersuchungen die Bahn
geebnet, die sich seitdem auf alle möglichen Detailfragen erstreckt
haben. Man hat auch den Anteil untersucht, welcher der apokryphen
jüdischen und christlichen Literatur in der Bildung der Religion des
Korans zukommt. In diesem Zusammenhang hat unser Kollege René Basset in
seinem Werk über die Apokryphen etliche nützliche Hinweise gegeben, die
den Historiker des frühen Islam zu vertieften Untersuchungen in diesem
Feld anregen können.70
Man wird herausfinden, dass der Gedanke der „wohl gehüteten Tafel“
(al-lauh-al mahfuz), auf der sowohl die Urform der göttlichen
Offenbarung wie die Bestimmung der Menschheit verzeichnet sind, als
Quelle eine im Jubiläenbuch geläufige Vorstellung hat; dass die
Ausmalung des letzten Gerichts im Koran sein Vorbild im Henoch-Buch hat.71
Die Beziehungen mit dem äthiopischen Christentum, in dem die Apokryphen
eine wichtige Rolle spielten, haben diese Vorstellungen in den Horizont
des arabischen Propheten treten lassen.
Es ist ebenso wenig auszuschließen, dass ihm das
persische Element zur Verfügung stand, das er nur aufzunehmen und
umzuformen hatte. Es ist nicht das erste Mal, dass man dies sagt. Man
geht im allgemeinen davon aus, dass in den eschatologischen Elementen
des Korans, abgesehen von den persischen Vorstellungen, die sich
vermittels des Judentums und des Christentums verbreitet hatten,
Anleihen von den Persern direkt zum Durchbruch kommen. Die Orte und
Gelegenheiten, wo persische Vorstellungen zur Zeit Mohammeds in Arabien
eindringen konnten, waren sehr zahlreich.
Die persische Kultur war zu der Zeit vor dem
Auftreten Mohammeds in Reichweite der Bewohner Zentralarabiens. Die
Handelsbeziehungen mekkanischer Kaufleute, die bis ins persische
Territorium reichten72,
führten sie ganz nahe an den Zivilisationsbereich der Perser heran,
ebenso wie die Reisen von Wanderdichtern. Al-A schâ ist nicht der
einzige arabische Dichter, den seine Reisen ins Sassanidenreich führten.
Schließlich bietet Hîra, die von den Dichtern und Einwohnern Arabiens
besuchte Residenz, trotz ihres arabischen Hofs ein veritables Gemälde
persischen Lebens. Von hier aus konnten Elemente persischer Zivilisation
leicht in die Städte Nord- und Zentralarabiens vordringen; man erkennt
sie übrigens ohne jeden Zweifel an den persischen Wörtern und
Ausdrücken, die sich in großer Zahl im Altarabischen finden.
Bei den vorislamischen Dichtern finden sich
zahlreiche Anspielungen auf das persische Leben, die persische Kleidung
und persischen Sitten, die sie natürlich mit echt arabischer Arroganz
zurückweisen, die jedoch deutlich die Kenntnis beweisen, die das
Arabertum von dem ihm Fremden hatte.73 Um seinen Feind zu beleidigen, bedient sich der vorislamische Dichter Aus b. Hadjar ausgerechnet des Ausdrucks farisijja, d.h. auf persische Weise, um einen Makel in dessen Familienleben zu brandmarken.74
Die Araber mussten nicht die Grenzen ihres Bereiches
überschreiten, um in die Sphäre des persischen Elements einzudringen. An
mehreren Orten der Halbinsel gab es persische Händler, die in
Gemeinschaft mit ihnen lebten. Schon zu Beginn unserer Zeitrechnung
beuteten Perser an verschiedenen Stellen des Landes Goldminen aus.75
Um den Einfluss zu ermessen, den diese Perser auf die arabische
Bevölkerung ausübten, kann man auf die Tatsache verweisen, dass ein Teil
eines in Bahrein angesiedelten arabischen Stammes, die Banu ‚Idjl,
insgesamt die persische Nationalität angenommen hat76 – was die Stärke des persischen Elements als ethnographischen Faktors mitten im arabischen Gebiet zeigt.
Unter religiösen Gesichtspunkt muss man auch das
südliche Arabien (Jemen) in Betracht ziehen, das zur Zeit Mohammeds
unter sassanidischem Einfluss stand. Wir kennen die persischen
Würdenträger mit Namen, die im Namen der Sassaniden zur Zeit des
arabischen Propheten im südlichen Arabien die Macht ausübten. Der Handel
mit der persisch-arabischen Südprovinz konnte dem Norden nicht nur
Handelswaren, sondern leicht auch Gedankengut aus dem Süden Arabiens
bringen. Wir dürfen mit Recht annehmen, dass sich der Handel nicht auf
im Süden gewebte feine Stoffe beschränkte77; auch nicht auf Wein aus dem Jemen und dem rebenreichen Hadramaut78,
dessen berühmten Weinberge so oft von den Dichtern erwähnt werden, wenn
sie diesen Wein besingen, der die ausgetrockneten Kehlen der
Wüstenbewohner nach langen Entbehrungen erfrischte. Die Leute aus dem
Süden werden wohl dieses oder jenes religiöse Wort gesprochen und
irgendwelchen Kontakt mit den Ideen des Landes, in das sie kamen, gehabt
haben, und sei es auch nur oberflächlich. Man hat übrigens auch schon
die Auffassung vertreten (Jos. Halévy), mancher typisch christliche
Terminus, der vom Islam übernommen wurde, sei zu ihm durch das
Christentum Südarabiens gekommen.
Jedenfalls fehlte es nicht an Gelegenheiten, dass die
Religion Persiens auf das Denkens des Gründers des Islam einwirken
konnte. Der Prophet kennt in der Tat die madjûs und reibt sie in eine
Linie mit den „Juden, Sabäern und Christen“ ein, im Unterschied zu
denen, die „die Götzenverehrung praktizieren“ (Sure XXII,17). Die
Erwähnung der Madjûs in diesem Zusammenhang ist zumindest ein Beweis,
dass sie in den religiösen Horizont Mohammeds gehörten. Denn in
religiöser Hinsicht sah er in ihnen kein heterogenes Element wie in den
Götzen verehrenden Heiden Arabiens und der fernen fremden Länder. Gewiss
waren sie in seiner Umgebung nicht so zahlreich, dass er ihr religiöses
System so genau hätte beobachten können wie das der Juden und Christen,
deren Lehrer Habr und Ruhbân, ihm direkte Informationen lieferten. Für
ihn, einen von der Vorstellung des absoluten Monotheismus beherrschten
Menschen, konnte die vom Dualismus der Magier verdunkelte Gottesidee
nicht ebenso eine religiöse Quelle bilden, wie die religiösen Systeme
seiner Umgebung, die er für degenerierte Formen der Religion Abrahams (dîn-Ibrâhim )hielt.79
Nichtsdestotrotz übten einige Splitter, die sich
Mohammed, ohne sich dessen bewusst zu sein, aus dem persischen
Gedankenkreis aneignete, auf sein für alle religiösen Impulse offenes
Temperament ihren Einfluss aus. – Er hatte den Parsismus nicht in
lebendiger, in Gemeinschaft praktizierter Form kennen gelernt; es
handelte sich um latente, völlig unbewusste Einflüsse, die sich mit
seiner eigenen religiösen Konzeption verbanden, ohne eine organische
Einheit zu bilden; sie haben sein auf jüdisch-christlicher Basis
beruhendes System auch nur in einigen Punkten leicht modifiziert.
Die Verfolgung, die später unter den Abbasiden, als
sich unter persischem Einfluss eine Theokratie entwickelte, gegen
Unglauben und Häresie wütete, findet sich schon in den Worten des Korans
angekündigt. Der kâfir des Korans ist jedoch keine Kopie des
Ungläubigen und Häretikers im Judentum und Christentum. Mohammed hat
hier die persischen Vorstellung einer materiellen Unreinheit
eingetragen. So spricht ein wahrer Parse: „Ein zweifüßiger Bösewicht,
zum Beispiel ein ruchloser Ashemaogha, beschmutzt die Schöpfung des
Guten Geistes durch direkten Kontakt, beschmutzt sie durch indirekten
Kontakt“80. Eine Vorstellung dieser Art scheint bei der Formulierung des folgenden Satzes im Koran Pate gestanden haben (Sure IX, 28): innamâ-l-muschrikîna nadjisun,
„in Wahrheit sind die Polytheisten unrein“. Ursprünglich wird dieser
Spruch nur in der Theorie buchstäblich verstanden, und die alte Exegese
(Ibn ‚Abbas ist hierin die Autorität) kommentiert tatsächlich den
Koranspruch wortwörtlich: „Die Substanz der Ungläubigen ist unrein“,
und: „Man muss, nachdem man mit ihnen Kontakt hatte, die rituelle
Reinigung vollziehen“81.
Immerhin hat das Gesetz der Sunniten durch eine
scholastische Auslegung aus dem Korantext diese inhumane Idee entfernt
und die Unreinheit des Ungläubigen (nadjâsa) in moralischem Sinn interpretiert.82
Aber in schiitischen Kreisen, in denen die persischen Traditionen immer
einen stärkeren Einfluss ausgeübt haben, hat man den wörtlichen Sinn in
seiner ganzen Strenge bewahrt; in jeder schiitischen Gesetzessammlung
(ich verweise zum Beispiel auf das Kompendium von Querry83)
werden Sie den Kâfir als einen von zehn Gründen für rituelle Unreinheit
(deh nedjâsât) genannt finden. Die Konsequenzen dieser strikt
gesetzlichen Sichtweise werden umso rigoroser gezogen, je weiter sich
die in zahlreiche Richtungen geteilte schiitische Gemeinschaft von der
Lehre des orthodoxen Islam entfernt. Je mehr eine dieser Sekten von
nicht-arabischen Traditionen durchdrungen ist, umso heftiger waren
Exklusivismus und Intoleranz gegenüber jenen, die man als Ungläubige
ansah.84
Ebenso lassen die Attribute, die sich in der
Phraseologie und Terminologie des Koran auf den Unglauben und die
Nicht-Gläubigen beziehen, manche Ähnlichkeit mit der religiösen Sprache
der Parsen erkennen und könnten leicht zur Hypothese einer frühen
Infiltration aus dieser Quelle führen. Hüten wir uns jedoch davor, zu
weit zu gehen, und setzen wir uns nicht der Gefahr aus, im Bemühen, um
jeden Preis Analogien zu finden, über das Ziel hinauszuschießen.
In seinen Strafreden verwendet Mohammed oft für die
Ungläubigen und Sünder ein Epitheton, das in seinem primären Sinn nicht
zum Bereich des religiösen Lebens im eigentlichen Sinn gehört,
sondern aus den privatrechtlichen Beziehungen zwischen Menschen stammt.
Der Ungläubige wird zâlim genannt, d.h. „Unterdrücker,
Gewalttäter, Tyrann“. Dieser Terminus wird dann auf den religiösen
Bereich durch folgenden Vorgang übertragen: Wer die Gebote Allahs
übertritt, zulama nafsahu, „begeht Unrecht und Gewalt gegenüber seiner eigenen Seele“.
Wir werden nicht der Versuchung erliegen, den Prototyp des zâlim im parsischen sâstarân
(Unterdrücker) zu sehen, im Gedanken daran, dass der biblische râschâ
denselben Übergang von einem juridischen zu einem religiösen Begriff
aufweist und dass der Sünder, „der seiner Seele Gewalt antut“, sein
Original in dem biblischen Spruch hat: „Wer sündigt gegen mich, tut
seiner Seele Gewalt an“ (Spr 8, 36).
Meine Damen und Herren, Sie werden mich mit Recht
fragen, ob wir in den Lehren des Propheten des Islam Spuren spezifischer
Konzeptionen des Parsismus finden können. Wenn ich die Eschatologie des
Koran anführen, die, wie oben bereits erwähnt, Spuren parsischen
Einflusses aufweist, und die seit langem bekannten Fakten wiederholen
würde, müsste ich die mir für diesen Vortrag zur Verfügung stehende Zeit
überschreiten. Ich möchte lieber eine Hypothese kurz darstellen, die
ich neulich in einem Sammelband zum Andenken an einen früh verstorbenen
hochgeschätzten Freund [D. Kaufmann] vorgetragen habe.85
Sie unterstreicht, wenn ich mich nicht getäuscht habe, die latenten
Einflüsse, die die persischen Vorstellungen in der Lehre Mohammeds
ausgeübt haben. Sie bewirken in dem speziellen Fall, den ich im Auge
habe, lediglich eine Modifikation einer Institution, die vom Judentum
und Christentum übernommen ist, indem sie ihr eine ursprünglich nicht
angelegte Nuance geben, die jedoch von andauernder Wichtigkeit ist.
Wie Sie wissen, ist der Freitag der Muslime eine
Kopie des biblischen Sabbats. Er unterscheidet sich jedoch in einem
wesentlichen Punkt vom biblischen Sabbat. Dieser soll unablässig an das
göttliche Schöpfungswerk erinnern, als Vollendung der Schöpfung der
sechs Tage: Es ist ein Tag der Arbeitsruhe für den Menschen, keine
Arbeit darf an diesem Tag verrichtet werden, weil das Schöpfungswerk an
diesem Tag vollendet wurde.
Gewiss will Mohammed bei seinen Gläubigen den Glauben
„an das Werk der Schöpfung in sechs Tagen“ wach halten, aber sein
Freitag ist nicht der Tag der Erinnerung daran. Er ist weder der Tag der
Sabbatruhe noch dessen Vorbereitungstag. Er ist ein Tag der
„Versammlung“ zur wöchentlichen Feier des Kultes; von Anfang an wurde er
nicht als Ruhetag betrachtet. „Ihr Gläubigen“ sagt Mohammed im Koran
(LXII, 9,10), „wenn man euch zum Gebet ruft am Tag der Versammlung,
beeilt euch, euch um Gott zu kümmern, und verlasst euer Geschäft … Wenn
das Gebet beendet ist, geht, wohin ihr wollt und sucht die Gaben des
göttlichen Wohlwollens.“
Mohammed weist die Vorstellung, Gott habe sich von
seinem Schöpfungswerk ausgeruht, strikt zurück. Diese Vorstellung ist
dermaßen tief im muslimischen Bewusstsein verwurzelt, dass man folgende
Worte des Koran immer als eine direkte Polemik gegen das Judentum
betrachtet hat (L, 37): „Wir haben Himmel und Erde und was zwischen
ihnen ist, in sechs Tagen geschaffen, und Müdigkeit hat uns nichts
anhaben können“ (wa mâ massanâ min lughûbin).
Dies ist ein Beispiel für das, was ich latenten
persischen Einfluss nenne. Nach der Lehre der Parsen wurde das Universum
in sechs Perioden geschaffen.86
Man schuf Feste im Gedenken an jede dieser sechs Schöpfungsperioden,
aber keines, um die Vollendung der Weltschöpfung zu begehen; somit kein
Fest, das Ähnlichkeit mit dem Sabbat der Juden hätte. Ihre Theologen
bekämpften die jüdische Konzeption des Sabbats und insbesondere die
Vorstellung, dass sich Gott vom Schöpfungswerk ausgeruht habe. Das
Dokument pâzend, das J. Darmesteter87 bekannt gemacht hat und in dem die Polemik der Parsen gegen die Sabbat-Institution dogmatischen Ausdruck angenommen hat (chikand gûmânik viyar), datiert in Wirklichkeit aus dem 9. Jahrhundert, spiegelt aber wahrscheinlich alte theologische Diskussionen wider.
Diese Opposition gegen die biblische
Schöpfungsgeschichte scheint Mohammed nicht entgangen zu sein. Der
arabische Prophet war von der Idee von Gottes Allmacht stark
durchdrungen. Es war die ihn im Innersten bestimmende Grundidee.
Infolgedessen ergriff er ohne Zögern die Gelegenheit, bei der Übernahme
der Sabbat-Institution diese abzuändern durch energischen Protest gegen
die Vorstellung eines Gottes, der sich ausruht.
Meine Damen und Herren! Ich habe mir erlaubt, Ihre
Aufmerksamkeit während dieser Stunde für diese flüchtige Skizze zu
beanspruchen, ich durfte dabei keineswegs die Absicht hegen, eine für
die historische Untersuchung des Islam so wichtige Frage erschöpfend zu
behandeln. Noch weniger hatte ich den Anspruch, indem ich Ihnen meine
besonderen Gedanken zu diesem Thema vortrug, die endgültige
wissenschaftliche Antwort gefunden zu haben. Vielmehr liegt mir am
Herzen, hier nochmals das Wort zu wiederholen, mit dem ich, wie Sie sich
erinnern, das letzte Kapitel begonnen habe: vielleicht. Was ich Ihnen in diesem Kapitel vorgetragen habe, betrachte ich nicht als gesicherte Doktrin; ich betrachte es als Hypothese.– Valeat quantum valere potest.
Diese gelehrte Versammlung schien mir eine gute
Gelegenheit zu bieten, Ihre Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Phänomenen
zu lenken, deren genauere Untersuchung uns ein tieferes Verständnis der
verschiedenen Elemente ermöglichen wird, die bei der Bildung des frühen
Islam zusammengewirkt haben. Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren,
zum Schluss Ihnen ganz herzlich für das Wohlwollen und die Geduld zu
danken, mit der Sie mir Ihre geschätzte Aufmerksamkeit geschenkt haben.
1
Originaltitel: Ignaz Goldziher, Islamisme et Parsisme, in: Actes du
premier Congrès international d’histoire de religions, 119 – 147,
wiederabgedruckt in: Ders., Gesammelte Schriften, Bd. IV, Hg. von
Joseph Desomogyi, Hildesheim 1970, 232 – 260. Die – kargen –
bibliographischen Angaben in den Fußnoten des Beitrags wurden, soweit
möglich, ergänzt (Ergänzungen in Fettdruck, zu korrigierende Verweise
in Klammern).
2
Dr. Werner Müller ist Akademischer Direktor und Mitglied der
Arbeitsstelle Religionswissenschaft an der Universität des Saarlandes.
3 Snouck Hurgronje, Die
Zahiriten, ihr Lehrsystem und ihre Geschichte. Beitrag zur Geschichte
der muhammedanischen Theologie von Dr. Ignaz Goldziher, Leipzig,
1884.X., in: (Litteraturblatt) Literaturblatt für orientalische Philologie 1, 1884, 417.
4 Vgl. Ignaz Goldziher, Muhammedanische Studien II, Halle 1890, 382-400: Hadith und Neues Testament.
5 Ignaz Goldziher, Usages juifs. D’après la littérature religieuse des Musulmans, in: Revue des Études juives, XXVIII, 75.f.
6 E. Blochet, in: Revue de l’Histoire des Religions, V, 1882 (nicht verifizierbar). XXXVI, 1897 (150: Verweis auf einen Beitrag von E. Blochet, L’Avesta de James Dermeteter et ses critiques, in Revue archéologique) und XL, 1-25; 203-236: Études sur l’histoire religieuse de l’Iran. II. L’ascension au ciel du prophète Mohammed.
7 E. Blochet, Études sur l’histoire religieuse de l’Iran. II. L’ascension au ciel du prophète Mohammed (suite), in: Revue de l’Histoire des Religions, XL, 213.
8 Brockelmann, Geschichte der arabischen Literatur, I, Weimar 1898, 134.
9
Der Kalif Osman lud den Christen Abu Zubeid Harmala b. Mundir an
seinen Hof ein, der vor dem Auftreten des Propheten „die persischen
Könige besucht (hatte) und ihre Sitten kannte“ (min zuwwâr al-mulûk
wa-châssatan mulûk al-‚adjam wakâna ‚aliman bisijarihim). Aghânî, XI, 24.
10 Vgl. Blochet, Revue de l’Histoire des Religions, XXXVIII, 447 (nicht verifizierbar).
11 Journal asiatique, 1895, I, 167 (nicht verifizierbar); M.A. Levy, Beiträge zur aramäischen Münzkunde Eran’s und zur Kunde der älteren Pehlewi-Schrift, in:Zeitschrift der Deutschen morgenländischen Gesellschaft, XXI, 1867, 429, 458; James Darmesteter, Coup d’oeil sur l’histoire de la Perse, Paris 1885, 40; Sacred Books of the East, XXIV, (?) 171.
12 Aghânî, IV, 158.
13 Vgl. E. Bratke, Religionsgespräch am Hofe der Sassaniden, o.O., 1899, 193, A. 1. In der Sicht des Arabers ist der tâdj (vgl. Noeldeke, Fünf Mo’allaqât, I,
36 über ‚Amr b. Kulthûm, v. 26) ein charakteristisches Attribut der
persischen königlichen Würde. Man verfasste Legenden über den tâdj des Chosrau (Ibn Hischam, 42,4). Andererseits merkt ein syrischer Chronist ausdrücklich an, dass Mu’âwija nicht die kelîla
(=tâdj) trug. Aber das verhindert nicht, dass die mohammedanische
Legende das Diadem nicht als Attribut der Macht eines arabischen
Schattenkönigs auffasst (Ibn Hischâm, 441, 12).
14 Díwân d‘ ‚Abdallâh b. al-Mu’tazz, I, 128,15; dieses Gedicht wurde separat veröffentlicht von M. Lang, Mu’tadid als Prinz und Regent, ein historisches Heldengedicht von Ibn al-Mu’tazz, in: Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft, XL, 1886, 563 ff.
15 Justi, Geschichte des alten Persiens, (Universalgeschichte von Oncken), Berlin 1879, 221. Zu den persischen politischen Doktrinen vgl. Wilhelm, Königthum und Priesterthum im alten Eran, in: ZDMG, 1886, 102-110.
16 I. Goldziher, Muhammedanische Studien, II, a.a.O. 32.
17 Vgl. Actes du XIe Congrès des Orientalistes, Paris 1897. Troisième section, 70, note 3.
18 Transactions of the IXth Congress of Orientalists, London 1892, II, 104-106.
19 Ignaz Goldziher, Ueber Dualtitel, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, XIII, 1899, 325 (franz. Übersetzung eines Schreibens von Abû Bekr al-Schwârizimî an einen Beamten); vgl. dazu ebd. A. 3.
20 Friedrich von Spiegel, (Die traditionelle Litteratur der Parsen, II) Einleitung
in die traditionellen Schriften der Parsen, Theil 2: Die traditionelle
Literatur der Parsen in ihrem Zusammenhange mit den angrenzenden
Literaturen, Wien 1860, 78.
21 F. v. Spiegel, ebd. 74.
22 Usd al-ghaba, V, 320.
23 I. Goldziher, Muhammedanische Studien, II, a.a.O. 156.
24 Friedrich von Spiegel, Eranische Alterthumskunde, III: Geschichte, Staats- u. Familienleben, Wissenschaft und Kunst, Leipzig 1878, 577.
25 Söderblom, in: Revue de l’Histoire des Religions, XXIX, 241 (nicht verifizierbar).
26 Ignaz Goldziher, Le culte des morts et des ancêtres chez les Arabes, in: Revue de l’Histoire des Religions, X, 356 ff.
27 Söderblom, a.a.O. 254 (vgl. A. 25).
28 A.V. William Jackson, Weighing the soul in the balance after death, an Indian as well Irinian idea, in: Actes du Xe Congrès des Orientalistes, Genf 1894, Deuxième partie, I, 67 f.
29 F. v. Spiegel, Traditionelle Litteratur der Parsen, II, a.a.O. (vgl. A. 20) 87.
30 Vgl. E. Blochet, Études sur l’histoire religieuse de l’Iran. II. L’ascension au ciel du prophète Mohammed, in: la Revue de l’Histoire des Religions, XL, 232, note 2.
31 Al-Dârimi, Sunan, 440. – Al-Schejbâni, Schüler des Abu Hanîfa, berichtet (Âthâr,
éd. Lahore, 93), dass das Lesen jeden Wortes des Koran zehn gute
Werke aufwiegt; die Formel ALM, in der jeder Buchstabe einem ganzen
Wort entspricht, zählt für dreißig (gute Werke).
32 Usd al-ghâba, I, 172.
33 Ebd. V, 586.
34 Ibn Khallikân, éd. de Wüstenfeld, Nr. 92.
35 Al-Ghazâli, Ihjâ ‚ulûm al-dîn, I, 250.
36 Mudjîr al-dîn, al-Ins al-djalil, 263.
37 Al-Damiri, Hajât al-hajwân, II, 101.
38 Sad-der, XII,8.
39 Ebd. Kap. LXVIII.
40 Ebd., LXXXII, 2.
41 Le Zendavesta, I, 13, note 36.
42 Muwatta‘, I, 81; al-Buchâri, Fadâ’il al-ashâb, Nr. 10.
43 Octave Dupont und Xavier Coppolani, Les confréries religieuses musulmanes, Alger 1897, 323.
44 Kût al-kulûb, I, 83.
45 Al-Dârakutnî bei al-Balawi, Alif-Bâ, I, 371.
46 James Darmesteter, Chants populaires des Afghans, Paris 1888-1890, 261.
47 Vergleichen Sie meine Beobachtungen, die ich in der Rezension von M. Carra de Vaux, Le Mahométisme, formuliert habe, in: ZDMG, LIII, 385.
48 Zu den Hölzern, die man zur Herstellung von Zahnstochern verwendete, findet man Detailangaben bei al-Djâhiz, Bajdn, II, 82.
49 Al-Ja’kûbi, Annales, éd. Houtsma, II, 121.
50 Buchari, Tamanní, Nr. 9; Musnad Ahmed, IX, 116; al-Schejbâni, Athár, 20.
51 Musnad Ahmed, I, 339 (sajunzal ‚alejja fihi); ebd. III, 490 (an juktaba ‚alejja).
52 Ebd., I, 3 (unten).
53 Al-Mustatraf, I, 10; Al-Balawi, Alif-Bâ,
I, 137-38. Gemäß eines Spruchs, der von Al-Schâfi’i überliefert wird,
hat der Gebrauch des miswák auch die Stärkung der Intelligenz zur
Folge; al-Damîri, II, 145, s. v. ‚usfûr.
54 Buchari, Maghâzî, Nr. 85.
55 Al-Ghurar wal-durar (Lithographie von Teheran), 179.
56 Shájest la shâjest, X, 20; XII, 13, Dâdist. dînik, XL, 8.
57 Man hat dem „Gefährten“ (Mohammeds) ‚Abdallâh b. Mas’ûd den Beinamen sáhib al-siwâk
gegeben; man scheint den Sinn dieses Titels, der in jedem Fall eine
ehrenvolle Hervorhebung war, nicht (mehr) zu kennen (al-Nawaw1i,
Tahdîb, 370, 13); an Stelle von al-siwâk findet man die Varianten: al-sawâd, al-sirâr, die beweisen, dass man schnell die wirkliche Bedeutung des Beinamens vergessen hat.
58 Es gibt eine ganze Sammlung von Traditionen zu diesem Gegenstand im Alif-Bâ des al-Balawî, I, 378 ff.
59 Ibn al-‚Abbâr, Takmila (éd. de Madrid, Bibl. arab. hisp.), 533.
60 Musnad Ahmed, II, 71.
61 Bei al-Damîrî, II, 334; andere Versionen berichten eine vergleichbare Sache zu Eseln, ebd. I, 298.
62 Bundahisch, XIV, 28; XIX,3; Sad-der, XXXI, 8.
63 Al-Damîri, I, 528. Auch im Babylonischen Talmud, B. Kammâ,
Blatt 60 b, steht, dass das Gebell der Hunde ein Zeichen für die
Anwesenheit des Propheten Elias oder des Todesengels sei – abhängig von
der fröhlichen oder traurigen Art des Gebells. Vgl. auch E. Stave, Über den Einfluss des Parsismus auf das Judenthum, Haarlem, 1898, 131.
64 Al-Makkarî, éd. de Leyde, I, 393.
65 Chardin, Voyages en Perse, éd. Langlès, Paris 1811, IX, 205.
66 Vendidad, Farg. XIII, 44-48.
67 Vergleichen Sie meine Materialien zur Entwicklungsgeschichte des Sufismus, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, XIII, 1899, 46-48.
68 Die Bulgaren an den Ufern der Wolga meinten, das Hundegebell sei ein gutes Omen (jatabarrakûna bi-‚uwâ al-kalb) und eine Vorhersage von Glück und überreicher Ernte (Ibn Fadhlân bei Jâkût, I, 769,13).
69 Ich bin nicht der erste, der diese Meinung vertritt: Vgl. z.B. G. Jacob, Altarabisches Beduinenleben, Berlin, 2. Auflage 1897, 84 (er stützt sich auf Abraham Geiger, Ostiranische Cultur, (?) 370). Ed. Hahn, Die Hausth)iere und ihre Beziehung zur Wirthschaft des Menschen, Leipzig
1896, 65: „Die große Überschätzung, die ihm die Zendreligion der
Perser gab, hat sicher dazu beigetragen, ihn beim Sieg des
Mohammedanismus erst recht zu verpönen, aber ihn ganz und gar aus
seiner Stellung zu drängen, ist natürlich doch nicht gelungen.“
70 René Basset, Les Apocryphes éthiopiens, Paris 1893-1900, IX, 12 und 22.
71 Livre d’Hénoch, I, 6, 8.
72 Aghânî, VI, 93, 12. Abû Sufjân schickte seine Karawanen mit Handelswaren der Kuraischiten ilâ ard al-‚Adjam, bis zu den Ländern der Perser. Vor allem zu den kriegerischen Einfällen in persische Regionen vgl. Ibn Hischâm, 938, 2.
73 I. Goldziher, Muhammedanische Studien, I, Halle 1889, 102; G. Jacob, Altarabisches Beduinenleben, Berlin, 2. Aufl. 1897,237. Ich werde ein anderes Mal auf die persischen Anspielungen bei den arabischen vorislamischen Dichtern zurückkommen.
74 Éd. Geyer, Nr.24, 2. Zu den Ehen zwischen nahen Verwandten vgl. E. Kuhn, „Zu p.308 ff.“ (bezogen auf: H. Hübschmann, Über die persische Verwandtenheirath), in: ZDMG, XLIII, 618.
75 Vgl. Eduard Glaser, Skizze der Geschichte und Geographie Arabiens
von den ältesten Zeiten bis zum Propheten Mohammed, nebst einem
Anhange zur Beleuchtung der Geschichte Abessyniens im 3. und 4.
Jahrhundert n. Chr., auf Grund der Inschriften, der alten Autoren und
der Bibel, II, Berlin 1890, 193.
76 Die zitierten Passagen in: I.Goldziher, Muhammedanische Studien, I, a.a.O. 103, A. 4.
77 Mas’ûdi, Tanbíh, éd. de Goeja, 281, 16 ff.
78 Müller-Mordtmann, Südarabische Denkmäler, Wien 1883, 87 (nicht verifizierbar); M. Joseph Halévy, Traductions des inscriptions sabéens, in: Journal asiatique, 1872, I, 524.
79 Ebenso lassen die Perser die wahre Religion in der Zeit des entlegenen Altertums wieder entstehen; sie bezeichnen paoiryó dkaésha als die ursprüngliche Religion, die lange Zeit vor Zarathustra existierte, der sie lediglich wiederherstellen musste (Sacred Books, XXIV, 87). Diese Auffassung findet sich auch noch bei Firdausí: dínikuhen.
80 Vendidad, Farg. V, 37.
81 Vergleichen Sie die alten exegetischen Auslegungen, zur Stelle zitiert im Kasschâf.
82 Zu mehr Informationen vgl. meine Zâhiriten, Leipzig 1884, 61-63.
83 Amédée Querry, Droit musulman, Paris 1871-1872, I, 17, art. 267 ff.
84 ZDMG, LIII, 383 (?).
85 Ignaz Goldziher, Die Sabbathinstitution im Islam, in: Les Mélanges consacré à la mémoire du feu Prof. D. Kaufmann.
86 Le Zend-Avesta, trad. par J. Darmesteter, I: La Loi (Vendidad), L’Épopée (Yashts), Le Livre de prière (Khorda Avesta), Paris 1892, 37 ff; III: Origines
de la littérature et de la religion zoroastriennes, appendice à la
traduction de l’Avesta (fragments des nasks perdus et index, Paris
1893, 57.
87 J. Darmesteter, in: Revue des Études juives, XVIII, 9, Nr. 102 (nicht verifizierbar).